Literaturnobelpreisträgerin Annie Ernaux und zahlreiche weitere Prominente in Frankreich haben Präsident Emmanuel Macron zum Verzicht auf das umstrittene Einwanderungsgesetz aufgerufen. "Es öffnet der nationalistischen Ideologie des Rechtsextremismus Tor und Tür und ist ein Verrat des Versprechens, das Macron seinen Wählern gegeben hat", heißt es in dem am Donnerstag in Paris veröffentlichten Aufruf in der Zeitung "L'Humanité".
Damit spielen die Unterzeichner auf Macrons Worte nach seiner Wiederwahl im April 2022 an, als er versprochen hatte, gegen die Rechtspopulisten im Land eine Brandmauer errichten zu wollen. Das in der Nacht zum Mittwoch verabschiedete Gesetz sei ein "Gesetz des Hasses und der Division", das den Zusammenhalt der Gesellschaft bedrohe, hieß es in der Erklärung. "Wir appellieren an den Präsidenten, aufzuwachen und den Text nicht zu unterzeichnen."
Zu den Unterzeichnen zählen zahlreiche Politiker aus dem linken Lager, unter ihnen die Parteichefs Olivier Faure für die Sozialisten, Jean-Luc Mélenchon für die Linkspopulisten, Marine Tondelier für die Grünen, aber auch die Bürgermeisterinnen von Paris und Lille, Anne Hidalgo und Martine Aubry.
Zudem haben zahlreiche Kulturschaffende den Aufruf unterzeichnet, neben Annie Ernaux auch die Filmemacherinnen Valérie Donzelli und Alice Diop, Schriftsteller Eric Orsenna und Ex-Fußballstar Eric Cantona. Bis zum Donnerstagvormittag hatten mehr als 1500 Menschen die Erklärung unterzeichnet.
Macron hatte am Vorabend Vorwürfe zurückgewiesen, das verschärfte Einwanderungsgesetz spiele der rechtspopulistischen Partei Rassemblement National (RN) in die Hände. "Das Gesetz wird uns vielmehr helfen, gegen das zu kämpfen, was dem RN Stimmen einbringt", sagte er in einer zweistündigen Talkshow, in der er der einzige Gast war. "Wir müssen zeigen, dass wir im republikanischen Lager eine Antwort darauf haben, die unseren Werten entspricht", sagte Macron.
Das Einwanderungsgesetz war mit den Stimmen der kompletten RN-Fraktion verabschiedet worden. Fraktionschefin Marine Le Pen feierte es als einen "ideologischen Sieg", der die "nationale Priorität", also die Bevorzugung von Französinnen und Franzosen festschreibe.
Macron räumte ein, dass das Gesetz Schwächen habe und zunächst vom Verfassungsrat überprüft werden solle. Dieser hat einen Monat Zeit, um sich äußern. Der sozialistische Parteichef Olivier Faure kritisierte die Verabschiedung eines Gesetzes, das selbst in den Augen der Regierung vermutlich nicht verfassungskonform ist. "Der Verfassungsrat ist nicht dazu da, um Gewissen reinzuwaschen", erklärte er.
kol/jes