Auch nach der vierten Parlamentswahl binnen zwei Jahren zeichnet sich in Israel keine stabile Regierung ab. Die Likud-Partei von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wurde laut Prognosen mit 31 bis 33 Sitzen stärkste Kraft, verfehlte aber die nötige Mehrheit von 61 Sitzen deutlich, wie drei israelische Fernsehsender am Dienstagabend berichteten. Die Zukunftspartei von Netanjahus Rivalen Jair Lapid kann demnach mit 16 bis 18 Sitzen rechnen.
Mit der Unterstützung anderer Parteien könnte Netanjahu den Prognosen zufolge auf 53 oder 54 der 120 Sitze in der Knesset kommen. Die gegnerischen Parteien könnten zusammen 59 Sitze erreichen. Beide Seiten dürften damit wieder Probleme haben, eine stabile Koalition zu bilden. Ein fünfter Urnengang ist nicht ausgeschlossen.
Netanjahu strebt nach zwölf aufeinanderfolgenden Jahren an der Macht ein weiteres Mandat an. Der 71-Jährige hoffte auch wegen der erfolgreichen Corona-Impfkampagne seiner Regierung und der jüngsten Normalisierung der Beziehungen Israels zu vier arabischen Staaten auf das Wohlwollen der Wähler. Der Regierungschef, der sich wegen Korruption in mehreren Fällen vor Gericht verantworten muss, steht bei vielen Bürgern aber auch in der Kritik.
Doch auch Lapid von der liberalen Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft) dürfte es kaum gelingen, das heterogene Lager der Netanjahu-Gegner in ein stabiles Bündnis zu führen. Bei der Stimmabgabe in Tel Aviv warnte der ehemalige Fernsehjournalist vor einer Rechtsaußen-Regierung. “Dies ist der Moment der Wahrheit für Israel”, sagte er. Es drohe eine “Regierung der Finsternis, des Rassismus und der Homophobie”.
Als Königsmacher gilt der einstige Netanjahu-Verbündete und Ex-Verteidigungsminister Naftali Bennett. Seine religiös-nationalistische Partei Jamina kann mit sieben bis acht Sitzen rechnen. Ob er ein Bündnis mit Netanjahu eingehen würde, hat er offen gelassen.
Eine wichtige Rolle in der Regierungsbildung könnte auch dem ehemaligen Likud-Politiker Gideon Saar zukommen. Bei der Gründung seiner Partei Neue Hoffnung im vergangenen Jahr hatte Saar angekündigt, Netanjahu “ersetzen” zu wollen.
Die neuerliche Parlamentswahl war nötig geworden, nachdem Netanjahus Koalition mit dem Mitte-Links-Bündnis Blau-Weiß von Ex-Armeechef Benny Gantz im Streit um den Haushalt für 2021 zerbrochen war. Viele von Gantz’ Wählern haben es ihm nicht verziehen, entgegen seines einstigen Versprechens eine Regierung mit Netanjahu eingegangen zu sein. Den Prognosen zufolge kann Blau-Weiß mit sieben bis acht Sitzen rechnen.
by RONEN ZVULUN