Der Parteienforscher Uwe Jun räumt dem Bündnis um Sahra Wagenknecht gute Chancen auf eine erfolgreiche Parteigründung ein. "Da ist durchaus ein nicht unerhebliches Wählerpotenzial vorhanden", sagte er der Nachrichtenagentur AFP. Beziffern lasse sich dieses aber derzeit nicht. Eine mögliche Wählergruppe sieht der Politikprofessor an der Universität Trier vor allem in den Protestwählern.
Indem sie sich scharf von der Ampel-Koalition und den Grünen abgrenze, mache Wagenknecht deutlich, dass sie auf diese abziele. "Dann setzt sie thematisch auf Umverteilung - da versucht sie Wähler aus dem linken Spektrum zu erreichen." Auf diese beiden Gruppen, Protest- sowie Umverteilungswähler, zielt das Bündnis demnach.
Von der AfD könnte die Wagenknecht-Partei ebenfalls Stimmen holen. Ein Teil der AfD-Wähler sind dem Politologen zufolge unzufrieden mit der derzeitigen Regierungspolitik – sie könnte die neue Partei für sich gewinnen. "Aber ein deutlich größerer Teil der AfD-Wähler vertritt bei gesellschaftlichen Themen und Migrationsfragen eher autoritäre Positionen."
Wagenknecht habe sich zwar in der Vergangenheit häufig migrationsskeptisch geäußert, betonte Jun. Von ihren Mitstreitern, den anderen früheren Linken-Abgeordneten, habe er jedoch wenig kritische Töne beim Thema Migration gehört. "Wenn die Partei im AfD-Spektrum erfolgreich sein will, muss sie bei der Migrationsskepsis deutlich Farbe bekennen", sagte der Politologe in dem Interview.
Das größte Wählerpotenzial sieht er im Osten Deutschlands – "weil es hier eine größere Unzufriedenheit und auch mehr Zuspruch zu migrationsspektischen und kulturell-autoritären Positionen gibt". Jun stellt aber klar: "Es wäre keine reine Ost-Partei." Auch in Westdeutschland gebe es Chancen für die Wagenknecht-Partei, sich zu etablieren.
Dem Politikwissenschaftler zufolge würde diese – "eine populistische Partei" - auf jeden Fall eine Veränderung der Parteilandschaft bewirken: "Wir hätten erstmals eine Partei, die sozioökonomisch linke Positionen mit soziokulturell eher rechten Positionen verbindet."
Einen erfolgreichen Parteiaufbau hält er dabei durchaus für machbar – "deswegen versucht Wagenknecht das auch und hat schon einen Teil der früheren Linksfraktion für sich gewinnen können". Dafür seien allerdings erhebliche Finanzmittel notwendig, zudem "Mitstreiter, die versuchen, diese Partei gesellschaftlich zu verwurzeln". Zudem bedürfe es einer Organisationsstruktur - und das auch in den einzelnen Bundesländern, wenn die Partei dort bei Landtagswahlen antreten wolle. "Von heute auf morgen ist so ein Aufbau deshalb nicht zu bewerkstelligen."
Wagenknecht und neun weitere Bundestagsabgeordnete hatten im Oktober ihren Austritt aus der Linken erklärt, um eine neue Partei zu gründen. Diese soll aus dem bereits gegründeten Verein "Bündnis Sahra Wagenknecht" hervorgehen. Gründungsdatum für die neue Partei ist der 8. Januar, am 27. Januar soll dann der Gründungsparteitag stattfinden.
Mit dem Austritt des Wagenknecht-Flügels hatte die Linke ihren Fraktionsstatus im Bundestag verloren. Sowohl die verbliebenen 28 Linken- als auch die Wagenknecht-Abgeordneten wollen im Bundestag als parlamentarische Gruppe weitermachen - die Anerkennung steht aber noch aus.
awe/bk