Vor dem Weltfrauentag am Montag haben Politik und Verbände weitere Anstrengungen auf dem Weg zur Gleichstellung angemahnt. "Ein Blick in die Führungsetagen der Wirtschaft, aber auch der Politik, zeigt uns, dass wir jedenfalls noch nicht am Ziel sind", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Samstag. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) übte seinerseits Kritik an der Bundesregierung.
Merkel hob im wöchentlichen Videopodcast hervor, dass "Talente und Blickwinkel beider Geschlechter" von enormer Bedeutung seien - gerade "während der weltweiten Pandemie". Daher sei "Parität in allen Bereichen der Gesellschaft" nötig. "Dazu gehört auch: Frauen müssen endlich so viel verdienen können wie Männer", sagte Merkel. Sie müssten "gleichberechtigt an wichtigen Entscheidungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft beteiligt" sein.
Auch der amtierende Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht die Gleichberechtigung und Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Deutschland nicht verwirklicht. Diese seien zwar "im Grundgesetz garantiert", erklärte der Regierungschef von Sachsen-Anhalt am Sonntag. Aber sie seien "noch lange nicht Realität". "Es gibt also noch viel zu tun, und der internationale Frauentag macht darauf aufmerksam", erklärte Haseloff.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz bezeichnete es am Samstag bei einer digitalen Veranstaltung der Sozialdemokraten anlässlich des Frauentags als eine "Frage des Respekts" in der Gesellschaft, die Gleichstellung zu einem gemeinsamen Anliegen von Frauen und Männern zu machen. Scholz sprach sich dafür aus, dass die Löhne in der Pflege, aber auch etwa im Lebensmitteleinzelhandel steigen sollten. Dies würde vielen Frauen bessere Löhne garantieren.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) verspricht sich von einem neuen Gesetz zur Stärkung der Position von Frauen in Unternehmensvorständen einen "Kulturwandel". Mit dem zweiten Führungspositionengesetz seien "reine Männerklubs in Vorständen der größten deutschen Unternehmen bald Geschichte", erklärte sie am Sonntag in Berlin. "Ab vier Vorständen muss dann eine Frau am Tisch sitzen."
Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sagte der Nachrichtenagentur AFP, Deutschland sei "immer noch gleichstellungspolitisches Entwicklungsland, weil es auch mit dieser Bundesregierung nur im Schneckentempo voran geht". Alle gleichstellungspolitischen Gesetze seien "bislang auf dem Niveau des kleinsten gemeinsamen Nenners" geblieben. "Den großen Wurf vermissen wir bis heute."
"Das Gesetz, das Lohngerechtigkeit herstellen sollte, sorgt nicht mal für Transparenz", sagte Hannack. "Die erweiterte Quote, die hoffentlich bald vom Bundestag beschlossen wird, erreicht zwar die Vorstände, setzt aber nur Minimalziele." Dies sei besser als nichts. "Aber wir leben im 21. Jahrhundert, die Bundesrepublik ist mehr als 70 Jahre alt und der Gleichstellungsgrundsatz im Grundgesetz immer noch nicht erfüllt", kritisierte Hannack.
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, forderte mehr Gleichberechtigung in Wirtschaft, in Wissenschaft und Politik. "Wo wichtige Weichen gestellt werden, sind Frauen noch immer deutlich unterrepräsentiert", erklärte sie in Berlin. "Hier müssen wir dringend aufholen."
Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer sprach sich angesichts der weiterhin großen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen für die Abschaffung des Ehegattensplittings aus. "Studien zeigen, dass das Ehegattensplitting Frauen davon abhält, verstärkt erwerbstätig zu sein", sagte Schnitzer der "Rheinischen Post" aus Düsseldorf. "Das behindert ihre Karriere und ihre Verdienstmöglichkeiten".
by Markus Schreiber