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Polens pro-europäische Opposition erklärt sich zum Sieger der Parlamentswahl

In Polen zeichnet sich nach der Parlamentswahl ein Machtwechsel ab: Die pro-europäische Opposition errang Prognosen zufolge einen überraschenden Sieg über die rechtsnationalistische Regierungspartei PiS. Oppositionsführer Donald Tusk erklärte die "Herrschaft der PiS" nach acht Jahren für beendet. Deutsche Politiker reagierten am Montag erleichtert und hofften auf eine Kehrtwende im angespannten Verhältnis zum Nachbarland. Die Abstimmung vom Sonntag galt als Richtungswahl, die Wahlbeteiligung erreichte einen neuen Höchstwert. 

Die seit acht Jahren regierende PiS blieb den Prognosen zufolge zwar stärkste Kraft, sie verlor aber ihre Mehrheit im Parlament an die von Ex-Regierungschef Tusk angeführte Opposition. Auf dessen liberalkonservative Bürgerkoalition entfielen 161 der 460 Sitze, wie aus einer Prognose vom Montag hervorging, die auf Nachwahlbefragungen und ersten Teilergebnissen beruhte. Ihre möglichen Bündnispartner, der Dritte Weg und die Linken, holten demnach 57 und 30 Sitze. Die drei Parteien hätten damit eine Mehrheit von 248 Sitzen. 

Die PiS kann mit 198 Sitzen rechnen, während die rechtsextreme Konförderationspartei der Prognose zufolge 14 Mandate gewann. Selbst bei einer Koalition hätten die beiden demnach keine Mehrheit.

Oppositionsführer Tusk erklärte noch am Wahlabend, das Ergebnis bedeute das Ende einer "düsteren Zeit". "Die Herrschaft der PiS ist vorbei", sagte der 66-Jährige bei der Wahlparty der Bürgerkoalition in der Parteizentrale in Warschau. "Polen hat gewonnen, die Demokratie hat gewonnen, wir haben sie von der Macht vertrieben."

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski sagte jedoch, er habe immer noch "Hoffnung", dass seine Partei die nächste Regierung bilden könne. Der 74-Jährige fügte hinzu: "Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass unser Programm trotz der Koalition, die gegen uns ist, weiter umgesetzt wird."

Nach einem hart ausgefochtenen Wahlkampf erreichte die Beteiligung an der Abstimmung einen Rekordwert: Rund 73 Prozent der Wahlberechtigten gingen an die Urnen und damit deutlich mehr als bei der ersten teilweise freien Wahl in Polen im Jahr 1989.

Die Abstimmung galt als Richtungswahl über den künftigen Kurs gegenüber der EU, der Ukraine und Deutschland. Die PiS liegt seit Jahren mit der EU im Dauerclinch und hat Deutschland im Wahlkampf scharf angegriffen.

Der Polenbeauftragte der Bundesregierung, Dietmar Nietan (SPD), äußerte sich im Bayerischen Rundfunk "sehr froh" über den Wahlausgang. Die polnische Gesellschaft habe gezeigt, "dass sie auf der Seite der Demokratie steht". 

"Die Zeichen in Polen stehen auf Veränderung", schrieb Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) im Onlinedienst X, ehemals Twitter. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Michael Link sprach von einem "Sieg für die Rechtsstaatlichkeit und für die Demokratie in Polen, aber auch für die Handlungsfähigkeit der EU".

Die CDU-Abgeordnete Katja Leikert (CDU) erklärte, sie sehe nun gute Chancen für eine Verbesserung der deutsch-polnischen Beziehungen, die unter der PiS-Regierung "so massiv gelitten haben". Der stellvertretende SPD-Fraktionschef Achim Post nannte das gute Abschneiden der polnischen Opposition ebenfalls "ein starkes Signal für die Demokratie in Polen, die bilateralen Beziehungen zu Deutschland" und die Rolle Polens in der EU. 

Tusk, der von 2007 bis 2014 die polnische Regierung anführte und anschließend bis 2019 EU-Ratspräsident war, hat angekündigt, die Beziehungen zu Brüssel zu verbessern. Er hat auch versprochen, das von der PiS verschärfte Abtreibungsrecht zu liberalisieren. 

Tusk äußerte sich am Wahlabend ebenso wie Vertreter des Dritten Wegs und der Linken zuversichtlich, dass die Opposition ein gemeinsames Bündnis schmieden könne. Die Regierungsarbeit einer solchen Koalition könnte jedoch durch Präsident Andrzej Duda erschwert werden, der der PiS nahesteht. Denn das mögliche Dreier-Bündnis verfehlte den Prognosen zufolge eine Drei-Fünftel-Mehrheit, die nötig ist, um ein Veto des Staatschefs zu überstimmen. 

Die PiS-Regierung mit ihrem Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki führt seit Jahren einen Machtkampf mit Brüssel, vor allem wegen ihrer Justizreform, die von Kritikern als Angriff auf Rechtsstaatlichkeit und Demokratie verurteilt wird. Der Wahlkampf der PiS war auch stark von anti-deutschen Tönen geprägt. Die Regierungspartei warf Tusk vor, er handele im Interesse Deutschlands, der EU und Russlands.

Auch die Ukraine hat die Wahl in Polen aufmerksam verfolgt. Polen war bislang einer der wichtigsten Unterstützer Kiews und hat eine Million Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Im Wahlkampf war die PiS aber von ihrer bedingungslosen Unterstützung abgerückt, für Spannungen sorgte auch ein Importverbot für ukrainisches Getreide, das dem Schutz polnischer Landwirte dienen soll.

bfi/cp