Polens Oberstes Gericht hat Teile der EU-Verträge für verfassungswidrig erklärt. Die vorsitzende Richterin am Verfassungsgericht in Warschau, Julia Przylebska, listete am Donnerstag eine Reihe von Artikeln auf, die nicht mit dem polnischen Grundgesetz "vereinbar" seien. EU-Recht stehe nicht immer über nationalem Recht, und mit ihrem Vorgehen gegen Warschau überschritten die EU-Institutionen ihre Kompetenzen.
Das Gericht folgte damit der Auffassung von Regierungschef Mateusz Morawiecki. Dieser hatte die Richter Ende März um eine Entscheidung zu der Frage ersucht, ob die polnische Verfassung Vorrang vor EU-Recht habe. Anlass waren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) gegen die umstrittenen Justizreformen der rechtsnationalistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS).
Brüssel wirft der Regierung in Warschau vor, die Unabhängigkeit der Gerichte und die Gewaltenteilung zu untergraben. Konkret geht es dabei unter anderem um eine Disziplinarkammer für Richter, die 2018 eingeführt wurde. Kritiker halten das Gremium für politisch nicht unabhängig. Auch die Unabhängigkeit der Verfassungsrichter selbst steht infolge der Justizreformen in Frage.
Wiederholten Anordnungen des EuGH, die Disziplinarkammer auf Eis zu legen, kam die polnische Regierung bislang nicht nach. Das Verfassungsgericht stärkte der Regierung nun den Rücken, nachdem es seine Entscheidung mehrfach vertagt hatte. Richterin Przylebska prangerte eine "Einmischung des EU-Gerichtshofs in das polnische Rechtssystem" an.
Die Entscheidung dürfte den Streit mit Brüssel weiter verschärfen. Die EU-Kommission hatte die polnische Regierung aufgefordert, den Antrag an das Verfassungsgericht zurückzunehmen und den Vorrang von europäischem vor nationalem Recht anzuerkennen. Andernfalls droht Warschau ein Vertragsverletzungsverfahren.
by INA FASSBENDER