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Oppositionsfraktionen im Bundestag scheitern mit Eilantrag gegen Wahlrechtsreform

Zu Bundestagswahl am 26. September wird Neuregelung angewandt

Zur Bundestagswahl am 26. September gilt das neue Wahlrecht. Das Bundesverfassungsgericht lehnte einen Eilantrag der Bundestagsfraktionen von FDP, Linken und Grünen gegen die im Herbst 2020 beschlossene Neuregelung der Sitzverteilung ab, wie es am Freitag in Karlsruhe mitteilte. Das Gericht wird zu einem späteren Zeitpunkt entscheiden, ob die Wahlrechtsreform grundsätzlich verfassungsgemäß ist. (Az. 2 BvF 1/21)

Die Reform soll dazu dienen, den Bundestag zu verkleinern. Dazu werden Überhangmandate einer Partei teilweise mit Listenmandaten verrechnet. Bis zu drei Überhangmandate sollen nicht mehr kompensiert werden, wenn die Regelgröße des Parlaments überschritten wird. FDP, Linke und Grüne halten dies für einen Verstoß gegen die Chancengleichheit der Parteien und die Wahlrechtsgleichheit. Zudem seien die Regelungen so ungenau, dass das Gebot der Normenklarheit verletzt werde, kritisieren sie.

Die drei Oppositionsfraktionen hatten gemeinsam einen alternativen Gesetzesvorschlag vorgelegt, für den sie aber keine Mehrheit bekamen. Im Februar reichten sie in Karlsruhe einen sogenannten Normenkontrollantrag und gleichzeitig den Antrag auf eine Eilentscheidung ein.

Am Freitag entschied das Gericht nur über den Eilantrag, also eine vorläufige Regelung. Diese lehnte es ab: Die Gründe, die für eine einstweilige Anordnung sprächen, rechtfertigten den “damit verbundenen Eingriff in die Zuständigkeit des Gesetzgebers” nicht, erklärte es. Der Normenkontrollantrag der drei Fraktionen sei aber weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Ob das neue Wahlrecht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wird darum später im Hauptsacheverfahren geprüft.

Das Gericht hält es dabei durchaus für möglich, dass die Neuregelungen verfassungswidrig sind: Das Wahlrecht sei dadurch noch komplizierter geworden, teilte es mit. Es müsse geklärt werden, ob das Gesetz den Anforderungen an Klarheit und Verständlichkeit von Rechtsnormen genüge. Auch erscheine nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Regelungen zu ungenau seien – so sei etwa nicht genau definiert, worauf sich die bis zu drei nicht auszugleichenden Überhangmandate bezögen.

Würden Überhangmandate nicht ausgeglichen, sei davon außerdem die Chancengleichheit der Parteien betroffen, was nur in begrenztem Umfang gerechtfertigt werden könne. All diese Fragen müssten jedoch im Hauptsacheverfahren geklärt werden, erklärte das Gericht. Es wog die potenziellen Folgen einer einstweiligen Anordnung gegen deren Ablehnung ab und entschied sich für die Ablehnung.

Erweise sich die geänderte Sitzzuteilung später als verfassungswidrig, wäre die Bundestagswahl zwar “mit einem Wahlfehler behaftet”. Es sei aber davon auszugehen, dass es bei den Änderungen nur um eine kleine Zahl an Mandaten gehe. Zudem könnten die Folgen einer einstweiligen Ablehnung dadurch abgemildert werden, “dass die zu unterstellenden Verfassungsverstöße im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde festgestellt werden könnten und gegebenenfalls die Anordnung einer Neuwahl in Betracht käme”, so das Gericht.

Würde aber dem Eilantrag stattgegeben, müsste das alte Wahlrecht angewandt werden. Wenn sich der Normenkontrollantrag der drei Oppositionsfraktionen dann später als unbegründet erweise, gebe es im Bundestag schon Ausgleichsmandate, die gegen den Willen des Gesetzgebers entstanden seien. “Dies beeinträchtigte sowohl die Legitimations- als auch die Integrationsfunktion der Wahl”, teilte das Gericht mit.

Außerdem würde eine solche einstweilige Anordnung sich nicht nur bis zur Wahl auswirken, sondern faktisch bis zum Ende der Legislaturperiode wirken. Die Abwägung ergebe, dass die Gründe für eine vorläufige Regelung nicht eindeutig überwögen, fasste das Gericht zusammen.

Der Verein “Mehr Demokratie” reagierte enttäuscht auf die Entscheidung. “Das neue Wahlrecht bleibt fragwürdig, auch wenn es jetzt einmalig angewendet werden darf”, erklärte Vorstandssprecher Ralf-Uwe Beck.

by Von Sarah Maria BRECH

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