Vor Beginn der Sondersitzung des Bundestags-Finanzausschusses zum mutmaßlichen Wirecard-Milliardenbetrug hat sich die Opposition verbal auf Finanzminister Olaf Scholz (SPD) eingeschossen. Dessen Rolle in dem Bilanzskandal sei völlig ungeklärt, sagte die Ausschussvorsitzende Katja Hessel (FDP) am Mittwoch. Auch die Grünen drängten erneut zu umfassender Aufarbeitung. Scholz selbst beteuerte, er stehe an der Spitze der Aufklärung.
In der Sitzung ab 16.00 Uhr soll neben Scholz auch Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sein Vorgehen bei dem mittlerweile insolventen Finanzdienstleister darlegen. Es dürfe nicht sein, dass Wirecard trotz der negativen Schlagzeilen bei der "Bundesregierung unter dem Radar geflogen ist", kritisierte Hessel im Bayerischen Rundfunk. "Wir würden vom Finanzminister schon gerne wissen, seit wann er was wusste? Warum er nicht richtig reagiert hat? Warum er nicht rechtzeitig reagiert hat?"
Nach Ende der Finanzausschusssitzung sei klar, ob ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werde. Für diesen haben sich bereits Linkspartei und AfD ausgesprochen. Die Grünen rechneten zunächst mit weiteren Sondersitzungen des Finanzausschusses.
Die Grünen-Obfrau im Finanzausschuss, Lisa Paus, appellierte an Scholz und Altmaier, "volle Transparenz" zu schaffen. "Die Versäumnisse der Minister und die Verstrickungen hochrangiger Beamter" müssten vollständig aufgearbeitet werden, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Scholz steht bei der Ausschusssitzung besonders unter Druck. Er war bereits im Februar 2019 über Ermittlungen der Finanzaufsichtsbehörde Bafin gegen Wirecard informiert worden. Altmaier wiederum muss in der Ausschusssitzung mit bohrenden Fragen zum Versagen der Prüfgesellschaften bei Wirecard rechnen.
Im ZDF-"Morgenmagazin" wehrte sich Scholz gegen den Vorwurf der schleppenden Aufklärung. "Es gibt für dieses Problem nur eine einzige richtige Vorgehensweise: Voran, nichts verbergen, aktiv an Spitze der Aufklärung stehen und dafür zu sorgen, dass alle Sachen geklärt werden", sagte der Minister. Er habe dafür gesorgt, "dass nicht gewartet wird, dass man sich nicht wegduckt". Vielmehr sei die Aufklärung "ganz aktiv" von seinem Ministerium vorangetrieben worden.
Wirecard hatte Ende Juni Insolvenz angemeldet. Zuvor hatte das Unternehmen einräumen müssen, dass in der Bilanz aufgeführte Gelder von 1,9 Milliarden Euro, die vermeintlich auf asiatischen Bankkonten lagern sollten, nicht auffindbar seien. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt in dem Fall. Sie geht von gewerbsmäßigen Bandenbetrug aus.
Zuletzt war der Skandal auch deutlich näher an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) herangerückt. Das Kanzleramt hatte sich bei einer China-Reise Merkels im September 2019 für Wirecard eingesetzt. Doch zuvor hatte das Bundesfinanzministerium auf Anfrage des Kanzleramts darüber informiert, dass das Unternehmen schon in den Fokus diverser Aufsichtsbehörden gerückt war. Trotz des Drängens der Opposition ist bei der Sitzung am Mittwoch kein Vertreter des Kanzleramts dabei.
Unter Druck steht in dem Skandal auch Bafin-Chef Felix Hufeld. Laut einem Bericht des "Wir" soll er Bundestagsabgeordnete falsch über die Rolle seiner Behörde informiert haben. Konkret geht es um die Sitzung des Finanzausschusses am 1. Juli, bei der Hufeld dem Vorwurf widersprochen hatte, seine Behörde sei Hinweisen auf Marktmanipulationen von Wirecard im Ausland nicht ordentlich nachgegangen. Laut Sitzungsprotokoll der nicht-öffentlichen Anhörung hatte Hufeld gesagt, die Bafin habe die örtliche Aufsichtsbehörde in Singapur "unmittelbar nach dem Vorliegen konkreter Hinweise kontaktiert". Diese habe an die Polizei verwiesen, an die sich die Bafin auch gewandt habe. Es werde "bis heute auf eine Antwort" gewartet, sagte Hufeld demnach.
Laut "Wir" teilte die Bankenaufsicht MAS in Singapur jedoch mit, sie und die Polizei hätten "relevante vorhandene Informationen" mit den deutschen Kollegen geteilt. Eine Bafin-Sprecherin erklärte, die Aufsichtsbehörde in Singapur habe bislang lediglich mitgeteilt, dass die Ermittlungen in Singapur noch laufen und noch kein Ergebnis vorliegt. "Unpräzise" seien nur die Aussagen Hufelds gewesen, zu welcher Behörde in Singapur die Bafin im März 2019 Kontakt aufgenommen hatte. Linke und FDP forderten den Rücktritt Hufelds. Union und SPD wiesen dies zurück.
by Von Marc MUDRAK