Sympathisch, erfolgreich, bodenständig: Olivia Jones (50) führt mit ihren "Kultkieztouren" regelmäßig Touristen durch St. Pauli, betreibt auf der Großen Freiheit eine Schlager-Bar, einen Show-Club mit Travestie- und Comedy-Acts, sowie einen Burlesque-Club. Darüber hinaus engagiert sie sich für Toleranz und Vielfalt und die aktuelle Coca-Cola-Kampagne "Offen wie nie zuvor". Doch die letzten Monate haben auch sie vor eine ganz neue Situation gestellt. Wie sie ihre Konzepte und Shows neu erfunden hat, welche Chancen sie jetzt sieht und was die neue Normalität für Olivia Jones bedeutet, verrät sie im Interview.
Olivia Jones: Schwierig war in den Anfangsmonaten, dass St. Pauli, das normalerweise für Freiheit und Lebensfreude steht, sich erstmal in eine Art "Geisterstadt" verwandelt hat. Auch wir hatten und haben es nicht leicht, werden aber mit einem blauen Auge davonkommen. Ich habe mir dabei allerdings weniger Sorgen um mich, als mehr um die Vielfalt des Viertels gemacht. Um die kleinen Bars, Clubs, Läden, Theater und Restaurants unserer Nachbarinnen und Nachbarn, die einen großen Teil der Strahlkraft St. Paulis ausmachen. Deshalb habe ich auch den Bürgermeister in die Pflicht genommen, St. Pauli nicht zu vergessen und mit meinem Team und anderen Gastronomen auch die medienwirksame Protestaktion organisiert, in der wir eine Schweigeminute auf dem Kiez abgehalten haben. Auch Projekte wie die Initiative Lokalfreun.de hat uns Gastronomen und Barbetreibern in der Krise geholfen und es ist schön zu sehen, wie die Menschen die Läden ihrer Nachbarschaft unterstützen.
Jones: St. Pauli ist schon immer ein vielfältiger Ort gewesen, an dem die Menschen zusammenstehen, wenn es drauf ankommt. Aber sicherlich hat die Krise die Menschen noch stärker zusammengeschweißt. Sie hat aber auch gezeigt, wie kreativ der Stadtteil ist, und dass man hier einfach immer versucht, sich nicht unterkriegen zu lassen. Diese Protestaktion mit der gemeinsamen Schweigeminute, dem Kiezgebet, unserem Kiez-Pastor und Pfarrer und vielen Wirten war ein wirklich besonderer Gänsehaut-Moment für alle. Wir haben gemeinsam deutlich gemacht, wie wichtig St. Paulis bunte Gastronomie für Hamburg ist. Die Stadt lebt vom Tourismus und viele Gäste kommen wegen der Einzigartigkeit St. Paulis.
Jones: Natürlich nicht, aber jede Krise bietet auch Chancen. Wir haben uns neu erfunden und die Konzepte der Bars und Clubs angepasst. Das war und ist eine echte Mammutaufgabe. Aber mit meinem tollen Team haben wir kreative Lösungen für schwierigste Herausforderungen gefunden. Zuerst haben wir die Olivia Jones Bar ins Rennen geschickt, die mittlerweile wieder täglich geöffnet hat. Olivias Show Club haben wir auf eine Art Theaterbetrieb umgestellt. Und das Konzept funktioniert so gut, dass wir so jetzt auch das The Bunny Burlesque St. Pauli und Olivias Wilde Jungs wieder öffnen. Dieses neue Show-Konzept macht uns und den Gästen sogar so viel Spaß, dass wir es vermutlich im Show Club auch nach der Corona-Zeit fortführen werden.
Jones: Menschen kommen zu uns, um bei uns etwas anderes zu erleben. Urlaub vom Alltag zu machen sozusagen. Bei uns herrscht immer institutionalisierter Ausnahmezustand. Und dazu kommen jetzt noch - ich formuliere es bewusst positiv - lustige Masken, weniger Vollkontakt, bewussteres Feiern. Ich nenne das gerne mit einem Augenzwinkern betreutes Trinken. Unsere Kieztouren finden ja überwiegend im Freien statt. Die laufen also mittlerweile wieder fast wie gewohnt. Außerdem können wir coronabedingt auch Orte zeigen, die sonst nicht zugänglich sind. Die Herbertstraße zum Beispiel, wo sonst keine Frauen Zutritt haben. Und wir erzählen auch Mutmacher-Geschichten von Menschen, die in der Krise auf St. Pauli zu echten Helden geworden sind. So wie der Wirt vom Elbschlosskeller, der früh auf Essensausgabe für Obdachlose umgestellt hat. Eine von vielen tollen Initiativen, bei der auch Mitglieder der Olivia-Jones-Familie aktiv sind. Denn Krisen sind Mutproben, Neues zu wagen. Das ist auch der Grund, weshalb ich Teil der aktuellen Coca-Cola Kampagne "Offen wie nie zuvor" bin. Die Krise ist noch nicht vorbei, doch die Chancen können und müssen wir jetzt schon ergreifen und nutzen. Am Ende liegt es an uns allen, gestärkt aus diesem Moment hervorzugehen und eine gemeinsame, und vor allem bessere Zukunft zu schaffen.
Jones: Wir machen jetzt Theater, spielen in Olivias Show Club sieben Shows pro Wochenende. Unsere St. Pauli Revue ist eine einstündige Mixed-Show der Olivias Jones Familie, mit Burlesque, Comedy, Menstrip und Travestie bzw. Drag-Acts. Alles natürlich unter Einhaltung der Hygiene- und Abstandsvorschriften. Das läuft mittlerweile so erfolgreich, dass wir überlegen, das Konzept auch künftig beizubehalten. Dazu haben wir unseren tollen Biergarten im Hinterhof unserer Clubs aufgehübscht, wo wir auch alkoholische Getränke an unsere Gäste ausschenken können. Außerdem denken wir über ganz neue Konzepte nach. Zum Beispiel: Schminkworkshops für Partys und Drag-Make-Up.
Jones: Die Resonanz ist bisher wirklich super! Wir haben die dankbarsten Gäste der Welt, die sich einfach nur freuen bei uns zu sein und mit uns unsere Shows und Kieztouren zu erleben.
Jones: Ich hoffe sehr, dass die Vielfalt der Bar- und Clubszene nicht allzu sehr leidet - auf St. Pauli, aber auch im Rest Deutschlands und der Welt. Deshalb haben wir auch schon früh auf Spendensammlungen unserer Nachbarn aufmerksam gemacht. Wir haben geholfen, wo wir helfen konnten, auch wenn wir selbst zu kämpfen hatten. Das oberste Ziel ist es, Vielfalt zu erhalten. Was mich positiv stimmt: Wir sehen viel Kreativität und dass die Anziehungskraft von St. Pauli nicht abgenommen hat. Im Gegenteil: Die Gäste kommen wieder und entdecken den Stadtteil für sich neu. Das ist für mich ein echter Lichtblick!
Jones: Daraus müssen wir das Beste machen, es als Chance ergreifen und uns an kleinen Fortschritten erfreuen. Ich war schon überglücklich, als ich meinen mittäglichen Morgenkaffee wieder vor meiner Kaffeetankstelle in der Sonne St. Paulis genießen konnte. Die kleinen, alltäglichen Momente sind sehr kostbar und besonders geworden.
Jones: Man lernt Bewegungsfreiheit noch mehr zu schätzen als vorher. Nach Monaten der Einschränkungen zeigt sich, was für ein Luxus Freiheit doch ist. Ich kann sogar einfach mal so nach Schleswig-Holstein fahren, ohne an der Landesgrenze abgewiesen zu werden (lacht).