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Österreichs Bundeskanzler weist Vorwürfe in neuer Korruptionsaffäre von sich

Opposition fordert Rücktritt - Grüne stellen Handlungsfähigkeit in Frage

Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat angesichts neuer Korruptionsermittlungen alle gegen ihn gerichteten Vorwürfe zurückgewiesen. Er könne nicht nachvollziehen, warum "immer ich schuld sein soll", wenn irgendwo Unrecht geschehe, sagte Kurz am Mittwochabend dem Sender ORF. Seine Koalitionspartner von den Grünen stellten am Donnerstag die Handlungsfähigkeit des Kanzlers in Frage, wie die Nachrichtenagentur APA berichtete. Die Opposition forderte seinen Rücktritt.

Es gebe überhaupt kein Indiz dafür, dass er etwa in die Beeinflussung von Meinungsumfragen verwickelt gewesen sei, sagte Kurz. Auch könne er "zu eintausend Prozent ausschließen", dass er Scheinrechnungen für Umfragen gestellt oder erhalten oder anderweitig darin involviert gewesen sei, sagte Kurz und schloss einen Rücktritt aus. "Selbstverständlich" wolle er Kanzler bleiben.

Am Mittwoch war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft für Wirtschaftskriminalität in Wien gegen den konservativen Regierungschef und eine ganze Reihe weiterer Personen wegen des Verdachts der Untreue, Bestechlichkeit und Bestechung ermittelt. Es wurden Büros im Kanzleramt und der ÖVP-Parteizentrale durchsucht.

In dem Fall geht es um den Vorwurf gekaufter Berichterstattung zugunsten von Kurz in der Boulevard-Zeitung "Österreich" und in anderen Medien. Ermittelt wird neben Kurz gegen neun weitere Personen, darunter enge Mitarbeiter des Kanzlers. Laut APA beziehen sich die Vorwürfe zum Großteil auf die Zeit, bevor Kurz im Jahr 2017 ÖVP-Chef und dann Kanzler wurde. Zuvor amtierte Kurz als Außenminister.

Nach APA-Informationen gab es Durchsuchungen unter anderem bei Kurz' Sprecher Johannes Frischmann, dem Medienbeauftragten Gerald Fleischmann und einem ÖVP-Berater. Ermittelt wird laut Staatsanwaltschaft auch gegen drei Organisationen. Dabei soll es sich unter anderem um die Regierungspartei ÖVP und die "Österreich"-Mediengruppe handeln.

In der Affäre geht es um den Verdacht, dass Umfragen, die Kurz' Karriere dienlich waren, über Scheinrechnungen aus Steuergeldern finanziert und in der Zeitung "Österreich" veröffentlicht wurden. Im Gegenzug soll das Finanzministerium laut Medienberichten in dem Blatt lukrative Anzeigen geschaltet und bezahlt haben.

Die Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos forderten am Donnerstag laut APA geschlossen den Rücktritt des Kanzlers. Dieser könne sein Amt nicht mehr ausüben, "ohne dass Österreich Schaden nimmt", sagte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. FPÖ-Chef Herbert Kickl bezeichnete Kurz als "untragbar", Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger nannte den Kanzler "amtsunfähig".

Auch Kurz Koalitionspartner von den Grünen äußerten sich kritisch. "Die Handlungsfähigkeit des Bundeskanzlers ist vor diesem Hintergrund in Frage gestellt", erklärte Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler laut APA. "Wir müssen gemeinsam für Stabilität und Aufklärung sorgen und darum möchte ich parteiübergreifend das weitere Vorgehen beraten", erklärte Kogler.

Diese Schritte würden jedoch noch kein Aus der Koalition bedeuten. Kurz hatte auf die Frage nach dem Fortbestand der Koalition geantwortet: "Ich kann mir beim besten Willen nichts anderes vorstellen."

Gegen Kurz laufen bereits Ermittlungen wegen des Verdachts der Falschaussage vor einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur sogenannten Ibiza-Affäre. Die Ibiza-Affäre hatte im Mai 2019 zum Bruch der Regierungskoalition zwischen Kurz' ÖVP und der rechtspopulistischen FPÖ sowie zu vorgezogenen Neuwahlen geführt.

by Joe Klamar