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Nina Hagen: Eine 65-jährige Chronik der Skandale

Godmother of Punk feiert Geburtstag

Wer oder was ist Nina Hagen? Sängerin oder Punk-Göttin? Ein unberechenbarer Bühnen-Irrwisch? Ein gelungenes Kunstprodukt? Ein Kind, meinte einmal die “Welt”. “Ein verrücktes, hysterisches, ein wildes Kind. Aber ein Kind ohne Angst, authentisch jede Minute.” Vor allem ein Kind, das die Spielregeln der Erwachsenen konsequent ignoriere. Da ist was dran. Am heutigen Mittwoch wird dieses Kind 65 Jahre alt. Und weil 65 für ein Kind kein Alter ist, wird es sich weiter aufführen, dass alle wie gehabt Bauklötze staunen.

Die Tochter der Schauspielerin Eva-Maria Hagen (85) und des Drehbuchautors Hans Oliva-Hagen (1922-1992) gilt seit Jahrzehnten als schrilles Gesamtkunstwerk. Andere wiederum bezeichnen sie als “unnachahmlich durchgeknallte Philosophin”, die sich selbst in ihrer Autobiografie “Nina Hagen. Bekenntnisse” keiner bestimmten Kategorie zuordnet.

Wie kann man einen so faszinierend irrlichternden Menschen wahrnehmen? Und als was? Da zeigt sich: Das bisherige Lebens-Zickzack der Nina Hagen weist gewisse kontinuierliche Betätigungsfelder und Verhaltensmuster auf, die durchaus ernsthaft zu betrachten, diskutieren und zu bewundern sind.

Natürlich: Hagen ist in erster Linie Musikerin. 1974 hat sie in Ost-Berlin eine einjährige Gesangsausbildung am Zentralen Studio für Unterhaltungskunst beendet. Ihr Stimmumfang ist gewaltig: vier Oktaven. Ihre Debütplatte 1972: “Eine Violine bin ich nicht”. Noch in der DDR wurde sie mit Gruppen wie Automobil und Fritzens Dampferband populär. Ihr größter DDR-Hit: “Du hast den Farbfilm vergessen”.

1977 verließ Hagen die DDR. Sie hatte gegen die Ausbürgerung des Sängers und Dichters Wolf Biermann, dem Lebensgefährten ihrer Mutter, protestiert. Rasche hatte sie sich im Westen akklimatisiert und lebte mal in Berlin, in Hamburg, London, den USA und Niederlanden, um immer wieder nach Deutschland zurückzukehren. Nina, die eigentlich Catharina heißt, hat Dutzende von Musikalben veröffentlicht, sie hat mit vielen internationalen Musikern gespielt, ist in Europa, den USA und Südamerika aufgetreten und wird zu Recht “Godmother of Punk” bezeichnet.

Doch sie kann auch anders: Mit der Schauspielerin und Chansonsängerin Meret Becker (51) hat sie im Berliner Ensemble einen eindrucksvollen Brecht-Abend gestaltet. Mit Max Raabe (57) und seinem Orchester führte sie Brechts “Dreigroschenoper” auf, mit Hagen als Sopranistin in der Rolle Celia Peachum. Sie musizierte mit Thomas D (51) und dem BAP-Vormann Wolfgang Niedecken (68) und für den 1. FC Union Berlin verfasste sie die Vereinshymne.

Ihre Mimik ist mindestens so eindrucksvoll wie ihre Stimme. Sie schneidet unentwegt Grimassen, rollt die Augen, reißt den Mund auf, und wenn das nicht reicht, streckt sie die Zunge heraus. Hagen kann das, und Hagen darf das, denn sie ist ja auch ein Kind. Dass ihr Körper pausenlos in Bewegung zu sein scheint, liegt wohl auch an ihrer Lust zur Darstellung. Kein Wunder: Ihre Mutter gilt als gottbegnadete Schauspielerin und ihre Tochter, Cosma Shiva Hagen (38), ist eine gefragte Darstellerin.

Ursprünglich wollte Hagen ja Schauspielerin werden, doch ihr Aufnahmeantrag für die Schauspielschule trug den Stasi-Vermerk “Verhindern”, weil der DDR-Dissident Wolf Biermann ihr Ziehvater war. Sie hat der Schauspielerei nie entsagt und bis 2016 in über 30 Spielfilmen mitgewirkt. Doch sie rezitierte auch schon mal Gedichte von Rainer Maria Rilke oder wandelte im Sari für eine “Indische Nacht” barfuß über die von Räucherstäbchen eingenebelte Bühne des Berliner Ensembles.

Ein endloses Kapitel der Skandale, denn peinlich war und ist einer Nina Hagen über-haupt nichts. Es begann 1979 in der österreichischen Talkshow “Clubs”, wo sie dem sprachlosen Moderator Dieter Seefranz verschiedene Positionen zur weiblichen Masturbation vorführte. Seefranz wurde danach vom ORF mit einem Sendeverbot belegt.

1992 war Hagen zusammen mit der damaligen Bundesministerin für Jugend und Frauen, Angela Merkel (65), zu Gast in der Sat.1-Talkshow “Talk im Turm”. Das Thema: Heroinabhängige. Hagen argumentierte kaum, sie tobte und schrie. Dann schnauzte sie die Diskussionsteilnehmer an: “Ich habe die Schnauze voll von Ihrer Lügerei, von Ihrer Heuchelei.”

In der ARD-Talkshow “Menschen bei Maischberger” trat sie 2005 als prominente Wahlkampfhelferin für Bündnis 90/Die Grünen auf. Als deren damalige Spitzenpolitikerin Jutta Ditfurth (68) sagte, dass Hagen “esoterisch ein bisschen durchgeknallt” sei, erwiderte die Punk-Diva: “Ich finde es furchtbar, was diese dicke Frau mit mir macht. Jutta Ditfurth, du bist eine blöde, blöde Kuh. Mit dir werde ich nie wieder reden in der Öffentlichkeit!”

Andererseits setzt sie ihre Popularität auch im Fernsehen ein und engagiert sich für Bürgerrechte, Medikamentenopfer, Menschen in Psychiatrien, brasilianische Straßen-kinder sowie Kinderkrankenhäuser in Indien und Tschernobyl.

“Ich glaube, dass man das bisschen Scheiße und Böse, das es gibt, weglieben kann”, lautet Hagens Lebensmotto. Ihr erster nennenswerter Partner war der niederländische und heroinsüchtige Gitarrist Ferdinand Karmelk (1988 an Aids gestorben), mit dem sie Tochter Cosmo Shiva hat. 1987 feierte sie auf Ibiza eine ausgelassene Punkhochzeit mit dem Londoner Musiker Iroquois, der zu diesem Zeitpunkt erst 17 Jahre alt war. Eine Woche darauf trennte sich das Paar wieder.

Dem jungen Mann folgte 1989 der französische Visagist Franck Chevalier. Er ist Vater des 1990 geborenen Sohns Otis Chevalier-Hagen. Ehemann Nummer zwei wurde 1996 der 15 Jahre jüngere David Lynn. Die Trennung erfolgte vier Jahre später. Im Januar 2004 heiratete Hagen nach fast vierjähriger Verlobungszeit den 22 Jahre jüngeren Sänger Lucas Alexander Breinholm aus Dänemark. Auch diese Ehe scheiterte. Hagen behauptete im ARD-Magazin “Brisant” damals, Breinholm terrorisiere sie und drohe sogar sie umzubringen. Ihr Noch-Ehemann wies die Anschuldigungen von sich. Trennung im Jahr 2005.

Danach hielt der Trend zum wesentlich jüngeren Mann an. Von 2005 bis 2010 war sie mit River zusammen, einem 28 Jahre jüngeren Physiotherapeuten aus Kanada. Dann kehrte etwas Ruhe ein.

Ob sie heute noch an Ufos und dergleichen glaubt, weiß man nicht so genau, doch vor Jahren war Hagen davon überzeugt, dass es im Weltraum außerirdisches Leben gibt. Sie selbst sei Zeuge einer Begegnung gewesen, teilte sie auf einem Ufo-Kongress in den USA mit: “Damals habe ich in Malibu gewohnt, als ich mitten in der Nacht ein Ufo sah. Ich war völlig geflasht. Wunderschöne Lichter strahlten mich an, ich hatte nicht die mindeste Angst, herrliche Energie hat mich überwältigt. Drei Wesen standen in dem Ufo, aber keins davon hat sich bewegt. Es war eine überwältigende Erfahrung.”

Bei Maischberger hat sie 2007 über ihre Erfahrungen mit Außerirdischen diskutiert und den ZDF-Wissenschaftsmoderator Joachim Bublath (76), einem promovierten Physiker, der ihre Erkenntnisse anzweifelte, angeblafft: “Mir wird schlecht, wenn ich neben solchen Menschen sitzen muss, die alles ins Lächerliche ziehen.”

Ungläubig war Hagen nie in ihrem Leben. Nach ihren früheren DDR-Jahren wandte sie sich im Westen dem Hinduismus zu und gab ihrer Tochter die Vornamen Cosma (= Kosmos = Begegnung mit einem Ufo) und Shiva (nach einer hinduistischen Gottheit).

Das alles war 2009 vorbei: “Ich bin so dankbar und so glücklich! Gestern war mein Tauftag”, jubelte die damals 54-Jährige auf ihrer Internetseite. Hagen hatte sich von Karl-Wilhelm ter Horst (70), Pastor der evangelisch-reformierten Kirche, taufen lassen. Sie habe nach mehreren Enttäuschungen bei der Glaubenssuche endlich eine “spirituelle Heimat” gefunden, sagte der Geistliche. Im gleichen Jahr erschien ihre CD “Personal Jesus” mit bekannten Gospel- und Blues-Stücken.

(ln/spot)

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