103299:

Netanjahu in politischer Patt-Situation erneut mit Regierungsbildung beauftragt

Rivlin: Kein Kandidat hat "realistische Chance" auf absolute Mehrheit

Zwei Wochen nach der Parlamentswahl hat Israels rechtskonservativer Regierungschef Benjamin Netanjahu in einer politischen Patt-Situation erneut den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen. Staatspräsident Reuven Rivlin verkündete seine Entscheidung in einer Fernsehansprache am Dienstag. Netanjahu, der sich derzeit vor Gericht wegen Korruption verantworten muss, hat nun mindestens 28 Tage Zeit, eine Koalition zu schmieden.

Nach der vierten Parlamentswahl innerhalb von zwei Jahren äußerte sich Präsident Rivlin wenig optimistisch zu den Chancen eines Durchbruchs in der Regierungsbildung. Er habe Netanjahu "basierend auf der Zahl der Empfehlungen" von Abgeordneten ausgewählt. Demnach habe dieser eine "leicht höhere Chance" auf Erfolg. Die Gespräche hätten jedoch auch gezeigt, dass "kein Kandidat eine realistische Chance" auf eine absolute Mehrheit im Parlament habe.

Netanjahus Likud-Partei war bei der Wahl am 23. März mit 30 von 120 Parlamentssitzen stärkste Kraft geworden. Weder das rechtsgerichtete Netanjahu-Lager noch seine Gegner konnten jedoch bisher eine Mehrheit für eine Regierungskoalition erreichen.

Traditionell überträgt Israels Präsident jenem Spitzenkandidaten die Regierungsbildung, der den meisten Zuspruch von Abgeordneten bekommt. Die meisten Empfehlungen von Parlamentariern erhielt am Montag Netanjahu mit 52 Stimmen. Neben seiner eigenen Partei stimmten Abgeordnete von zwei ultraorthodoxen jüdischen Parteien sowie der extremistischen Partei Religiöser Zionismus für den 71-Jährigen. 45 Empfehlungen entfielen auf den Liberalen Jair Lapid von der Partei Jesch Atid.

Gelingt Netanjahu keine Regierungsbildung, droht Israel die fünfte Neuwahl in Folge. Der Präsident kann die Frist für die Verhandlungen zur Regierungsbildung einmal um 14 Tage verlängern.

Rivlin nannte die Nominierung angesichts der laufenden Korruptionsverfahren gegen den Regierungschef "aus moralischer und ethischer Sicht keine einfache Entscheidung". Er sei sich der Vorbehalte vieler Israelis bewusst, die Aufgabe einem Kandidaten zu übertragen, gegen den ein Strafverfahren laufe. Die Rechtslage und entsprechende Gerichtsentscheide würden es einem Ministerpräsidenten aber erlauben, sein Amt auch in diesem Fall weiter auszuüben.

Netanjahus Herausforderer Lapid akzeptierte die Entscheidung: Der Präsident habe "keine Wahl gehabt" und "seine Pflicht getan". Dennoch sei die Übertragung der Regierungsbildung an Netanjahu "eine Schande". Netanjahu ist als erster amtierender Ministerpräsident des Landes angeklagt; ihm werden Bestechlichkeit, Betrugs und Untreue vorgeworfen.

Am Montag hatte die Staatsanwaltschaft Netanjahu vor Gericht Machtmissbrauch vorgewofen. Die leitende Staatsanwältin Liat Ben-Ari sprach in ihrem Eröffnungsplädoyer von einem "ernsten Fall von Korruption durch die Regierung". Der seit zwölf Jahren amtierende Ministerpräsident habe die ihm anvertraute Regierungsmacht unter anderem dazu genutzt, Eigentümer großer Medien zu beeinflussen, auch mit Blick auf seine Wiederwahl.

Netanjahu wird unter anderem beschuldigt, einer Telekommunikationsfirma Gefälligkeiten im Gegenzug für eine positive Berichterstattung gewährt zu haben. Weitere Vorwürfe beziehen sich auf Luxusgeschenke im Gegenzug für finanzielle und persönliche Vorteile. Er selbst weist die Vorwürfe zurück und bezeichnet sich als Opfer einer politischen "Hexenjagd".

Um die fehlenden Sitze für eine Mehrheit von 61 Stimmen in der Knesset zu erhalten, ist Netanjahu voraussichtlich auf die Unterstützung seines einstigen Verbündeten und Ex-Verteidigungsministers Naftali Bennett angewiesen. Dessen religiös-nationalistische Partei Jamina hält sieben Sitze in der Knesset. Vor Gericht hatte erst am Montag ein Zeuge ausgesagt, Bennett sei ein Hauptziel einer medialen Schmutz-Kampagne Netanjahus gewesen.

Außerdem könnte der Regierungschef die Unterstützung der konservativen islamischen Raam-Partei brauchen. Deren Anführer Mansur Abbas hatte sich für Gespräche offen gezeigt, wenn die künftige Regierung die Lebensbedingungen der arabischen Israelis verbessere, die etwa 20 Prozent der Bevölkerung des Landes ausmachen. Die Partei Religiöser Zionismus hat eine Zusammenarbeit mit Raam jedoch bereits ausgeschlossen.

by EMMANUEL DUNAND