Die russische Opposition will auch nach dem harten Durchgreifen der Sicherheitsbehörden bei den Protesten am Samstag nicht lockerlassen: Verbündete des inhaftierten Kreml-Kritikers Alexej Nawalny riefen am Montag zu erneuten landesweiten Demonstrationen am kommenden Wochenende auf. Westliche Regierungen verschärften angesichts der Massenfestnahmen bei den Demonstrationen den Ton gegenüber Moskau. Die EU will im Februar über neue Sanktionen gegen Russland wegen der Verhaftung Nawalnys entscheiden.
Der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow rief die Menschen in "allen Städten Russlands" auf, am kommenden Sonntag erneut auf die Straße zu gehen. "Für Nawalnys Freilassung. Für die Freiheit aller. Für Gerechtigkeit", twitterte er.
Am Samstag hatte es in Russland regierungskritische Proteste eines beispiellosen geographischen Ausmaßes gegeben. Von Sankt Petersburg im Westen bis Wladiwostok im Osten demonstrierten die Menschen für die Freilassung Nawalnys und gegen Staatschef Wladimir Putin. Zu sehen waren Protestplakate mit Aufschriften wie: "Nawalny hat keine Angst und ich habe keine Angst" oder "Putin ist ein Dieb".
Nawalnys Team hatte vergangene Woche ein Recherche-Video zu einem Luxus-Palast an der russischen Schwarzmeer-Küste veröffentlicht, der angeblich Putin gehören und durch Bestechungsgelder finanziert worden sein soll. Das Anwesen soll demnach 39 Mal so groß sein wie Monaco und über ein Casino, eine Eisbahn und Weinberge verfügen.
Der Kreml-Chef bestritt die Vorwürfe am Montag. "Nichts von dem, was hier als mein Besitz aufgeführt wird, gehört mir oder meinen engen Verwandten, und das hat es auch niemals", sagte Putin während einer Online-Diskussion mit Studenten. Die Demonstranten verglich der Präsident indirekt mit Terroristen. Zwar hätten russische Staatsbürger das Recht, ihre Meinung zu äußern, jedoch müsse dies "im Rahmen des Gesetzes" geschehen. Auch sollten Minderjährige nicht mit zu ungenehmigten Demonstrationen genommen werden. "Das machen Terroristen. Sie stellen Frauen und Kinder vor sich", sagte Putin.
Zu den Protesten am Samstag aufgerufen hatte Nawalny, der sich seit rund einer Woche in einem Hochsicherheitsgefängnis in Moskau befindet. Er war in der russischen Hauptstadt unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Deutschland festgenommen und in einem Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. In Berlin war Nawalny nach einem Giftanschlag medizinisch behandelt worden. Seine nächste Anhörung vor Gericht soll am 2. Februar stattfinden. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu drei Jahre Gefängnis.
Wolkow betonte, die Forderung nach der Freilassung Nawalnys sei "kraftvoller", wenn die Menschen noch vor der Gerichtsanhörung erneut auf die Straße gehen würden. Während der Nawalny-Vertraute die Proteste am Samstag "historisch" nannte, spielte der Kreml ihr Ausmaß herunter. Es seien nur "wenige Menschen" auf der Straße gewesen, behauptete Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
Nach Schätzungen der Nachrichtenagentur AFP hatten sich allein in Moskau 20.000 Menschen an den Anti-Putin-Protesten beteiligt. Landesweit wurden nach Angaben von Bürgerrechtlern etwa 3700 Demonstranten festgenommen. Das russische Investigativkomitee leitete mehrere Strafverfahren gegen Demonstranten an. Laut russischen Staatsmedien wurde ein erster Protestteilnehmer am Montag zu zehn Tagen Haft verurteilt.
Die Bundesregierung verurteilte die Gewalt gegen friedliche Demonstranten am Montag. Die Bürger, die in Russland auf die Straße gegangen seien, könnten sich "auf die verbrieften Rechte in der russischen Verfassung" sowie auf internationale Menschenrechtsverträge berufen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin. "Sie sind unverzüglich auf freien Fuß zu setzen."
Zuvor hatten auch die USA das "harsche Vorgehen" der Sicherheitskräfte verurteilt. Moskau warf seinerseits den Vereinigten Staaten vor, die "illegalen" Proteste durch Beiträge in den Online-Medien unterstützt zu haben. Vize-Außenminister Sergej Riabkow teilte dem US-Botschafter John Sullivan am Montag offiziell Moskaus "starken Protest" mit und warf Washington eine "Einmischung" in interne russische Angelegenheiten vor.
Die EU-Außenminister berieten derweil über Konsequenzen wegen Nawalnys Verhaftung. Eine Entscheidung über neue Sanktionen gegen Moskau soll nach Informationen der Nachrichtenagentur AFP jedoch erst im Februar fallen. Es solle abgewartet werden, was ein geplanter Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell erbringe, hieß es aus Dipomatenkreisen in Brüssel.
by Von Anastasia CLARK