Die Nato will der Ukraine auf ihrem Gipfel den Weg zu einem möglichen Beitritt aufzeigen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg versprach der Ukraine am Dienstag in der litauischen Hauptstadt Vilnius "eine klare und positive Botschaft auf dem Weg zu einer Mitgliedschaft". Die von Präsident Wolodymyr Selenskyj geforderte Beitrittseinladung ist jedoch nicht in Sicht, sie stößt in den USA und Deutschland auf Widerstand.
Ziel sei stattdessen ein "Reformweg für die Ukraine", sagte der Nationale Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, in Vilnius. Zwar will die Nato auf das formelle Beitrittsverfahren für Kiew verzichten. Washington, Berlin und andere Hauptstädte dringen aber auf Reformen im Militärbereich und im Kampf gegen die Korruption.
Einen sofortigen Nato-Beitritt der Ukraine schloss Sullivan aus. Dies würde die Nato "in einen Krieg mit Russland" hineinziehen, warnte er. Auch ein klarer Fahrplan für die Ukraine zeichnet sich laut Sullivan nicht ab. Stoltenberg zufolge arbeiteten die Verbündeten bis kurz vor dem Gipfel noch an dem genauen Wortlaut ihrer Erklärung zur Ukraine.
Selensky hatte am Vorabend des Gipfels verbindliche Zusagen verlangt. Die Ukraine verdiene die Mitgliedschaft, sagte er in einer Videobotschaft. "Nicht jetzt, denn jetzt herrscht Krieg, aber wir brauchen ein klares Signal", betonte er.
Litauens Präsident und Gipfel-Gastgeber Gitanas Nauseda forderte im Namen der Baltenstaaten und vieler Osteuropäer in der Nato erneut eine schnelle Aufnahme der Ukraine. Nur der Beistandsartikel fünf des Nato-Vertrags gewährleiste "echte Sicherheitsgarantien, die Russland in Zukunft von einem Angriff abhalten", sagte Nauseda.
Nach Artikel fünf wird ein Angriff auf ein Nato-Mitglied als Angriff auf alle gewertet. Die Beistandsklausel wurde in der fast 75-jährigen Geschichte des Bündnisses nur ein einziges Mal aktiviert: nach den Anschlägen auf die USA von 2001. US-Präsident Joe Biden bietet der Ukraine bis zu einem Beitritt Sicherheitszusagen nach dem Vorbild Israels an, für das die USA als eine Art Schutzmacht im Nahen Osten auftritt.
Selenskyj wird als Gast zu dem Nato-Gipfel erwartet. Nach Stoltenbergs Angaben nimmt er am Dienstag an einem Abendessen mit den Nato-Spitzen teil. Für Mittwoch ist die Gründungssitzung eines neuen Nato-Ukraine-Rats geplant. Bei dem Treffen will die Nato zudem neue Pläne zur Abschreckung und Verteidigung beschließen sowie höhere Verteidigungsausgaben.
Der zweitägige Gipfel in der ehemaligen Sowjetrepublik Litauen findet nur gut 30 Kilometer von der Grenze zu Belarus statt, dem engsten Verbündeten Russlands. Deutsche Patriot-Abwehrsysteme und französische Kampfjets sichern das Treffen ab, tausende Sicherheitskräfte sind im Einsatz.
lob/mhe