Nach dem Asyl-Kompromiss will die Bundesregierung im weiteren Verfahren über das EU-Parlament Nachbesserungen für Familien mit Kindern erreichen. Es gehe darum, dass diese "nicht ihr Asylverfahren an den Außengrenzen durchlaufen müssen, sondern gleich in die EU einreisen können", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) der "Bild am Sonntag". Forderungen aus der CDU nach Kontrollen an der deutschen Landesgrenze wies sie zurück. Kanzler Olaf Scholz (SPD) und Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigten derweil den Asyl-Kompromiss.
Faeser nannte die EU-Einigung einen "nie zuvor erreichten Kompromiss". Sie betonte: "Wir haben eine tiefe Spaltung Europas überwunden. Wir kontrollieren die Außengrenzen, damit die Grenzen innerhalb Europas offen bleiben können."
Zu der Forderung aus der Union nach Kontrollen von EU-Binnengrenzen sagte sie: "Ich will das Herzstück der Europäischen Union – offene Grenzen im Inneren – verteidigen." Sie fügte hinzu: "Schlagbäume wieder hochzuziehen, würde uns um Jahrzehnte zurückwerfen."
Die Forderung war von Landesinnenministern der CDU sowie von Parteichef Friedrich Merz erhoben worden. Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sagte der "Bild"-Zeitung vom Samstag, Faeser solle sich "nicht mehr den Forderungen nach situativen Grenzkontrollen verschließen". Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) sagte der Zeitung: "Aufgrund des aktuell hohen Migrationsdrucks braucht es weiterhin temporäre lageabhängige EU-Binnengrenzkontrollen, auch an der Grenze zu Polen."
Merz schrieb am Sonntag auf Twitter, wenn der Schutz der EU-Außengrenzen bis auf weiteres nicht hinreichend möglich sei, "müssen die Binnengrenzen besser geschützt werden". Jedes Land habe "das Recht und auch die Pflicht, den Zuzug in das eigene Territorium zu kontrollieren".
Seit der Flüchtlingskrise von 2015 gibt es schon Grenzkontrollen zu Österreich, um aus Nachbarstaaten die Weiterreise von Migranten nach Deutschland zu verhindern.
Die EU-Innenministerinnen und -minister hatten einen Kompromiss vereinbart, der erstmals Asylverfahren an den EU-Außengrenzen vorsieht, aber auch eine Verteilung von Migranten auf die EU-Staaten. Länder, die sich weigern, Migranten aufzunehmen, sollen ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000 Euro für jeden Migranten in einen von Brüssel verwalteten Fonds einzahlen müssen. Keine Mehrheit fand die Forderung Deutschlands, Familien mit Kindern grundsätzlich von den Grenzverfahren auszunehmen.
Scholz betonte auf dem Evangelischen Kirchentag in Nürnberg die gemeinsame Verantwortung der EU-Staaten, "ein faireres Verfahren" bei der Verteilung von Flüchtlingen in Europa zu erreichen. Deshalb sei verabredet worden, einen "Solidaritätsmechanismus" zu etablieren.
Nötig seien schnellere Verfahren und Fortschritte bei der Digitalisierung, um zu prüfen, ob jemand bleiben könne, weil Schutzgründe vorliegen. Wer diese Schutzgründe nicht vorbringen könne, dem müsse auch gesagt werden: "Du musst wieder zurück." Das sei notwendig, "um das Asylrecht zu schützen", betonte der Kanzler.
Auch Baerbock verteidigte den Kompromiss. Sie sprach auf dem Kirchentag von einer "schwierigen Entscheidung". Ohne die Zustimmung zu Grenzverfahren hätte es keine Einigung auf EU-Ebene gegeben; die Situation hätte sich weiter verschlechtert, weil es keine Verteilung der Flüchtlinge in Europa und wieder nationale Binnengrenzen gegeben hätte.
Mit der nun erzielten europäischen Lösung gebe es "für die Mehrheit der Geflüchteten die Chance, dass es besser wird", so Baerbock. Die "bittere Wahrheit" sei allerdings auch, dass es für einige durch die Einführung der Grenzverfahren schlechter werde.
CDU-Generalsekretär Mario Czaja nannte den Kompromiss einen "ersten wichtigen Schritt, um die illegale Zuwanderung in die europäische Union zu begrenzen". Damit sei es aber nicht getan, sagte Czaja den Zeitungen der Mediengruppe Bayern und forderte von der Bundesregierung unter anderem die Ausweitung der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten.
Faeser sagte, die Reform des Asyl-Systems solle bis zum kommenden Frühjahr verabschiedet werden: "Wir wollen einen Abschluss des gemeinsamen EU-Asylsystems vor der Europawahl im nächsten Jahr." Diese findet Anfang Juni 2024 statt.
Die europäischen Grünen kündigten Widerstand gegen die Reformpläne an. "Als Grüne im Europäischen Parlament halten wir den Ratsbeschluss nicht für tragfähig – sowohl, weil er Menschenrechtsstandards aushöhlt, als auch keine langfristig praktikablen Lösungen für eine nachhaltige gemeinsame europäische Asylpolitik liefert", sagte die Ko-Fraktionsvorsitzende Terry Reintke den RND-Zeitungen.
cha/bfi