Vermutlich befindet sich die in Großbritannien und anderen Ländern nachgewiesene Mutation des Coronavirus bereits in Deutschland: Die Wahrscheinlichkeit, dass die Mutation unerkannt in Deutschland sei, sei "sehr, sehr hoch", sagte der Präsident des Robert-Koch-Instituts, Lothar Wieler, am Dienstag in Berlin. Sowohl Wieler als auch der Mainzer Impfstoffhersteller Biontech erwarten aber, dass die gerade zugelassene Impfung gegen das Coronavirus trotz der Mutation funktioniert.
Die Mutation des Coronavirus hat weltweit Besorgnis ausgelöst. Das Bundesgesundheitsministerium verhängte am Dienstag ein generelles Beförderungsverbot für Reisende aus Großbritannien, Nordirland und Südafrika, um eine Ausbreitung nach Kontinentaleuropa zu verhindern. Bisher wird davon ausgegangen, dass die neue Form des Erregers deutlich ansteckender ist als die bisherige.
Der Chefvirologe der Berliner Charité, Christian Drosten, schrieb zu den neuen britischen Daten zu der B.1.1.7 genannten Mutante auf Twitter, "das sieht leider nicht gut aus". Eine Kontaktreduktion scheine aber wie beim bekannten Erreger des Coronavirus auch gegen die Verbreitung der Mutante zu wirken.
Trotz der Unsicherheit geht RKI-Präsident Wieler davon aus, dass die Impfstoffe gegen das Coronavirus auch bei einem mutierten Erreger helfen: "Alles spricht dafür, dass der Impfschutz nicht eingeschränkt ist, wenn sich diese Variante weiter ausbreitet."
Der Chef der Mainzer Firma Biontech, Ugur Sahin, geht davon aus, die Mutation des Coronavirus mit dem in seinem Unternehmen entwickelten Impfstoff in den Griff zu bekommen. Der bestehende Impfstoff gegen das Coronavirus könnte falls erforderlich binnen sechs Wochen "umgearbeitet" und speziell auf die Mutation zugeschnitten werden, sagte Sahin. Dies wäre "technisch innerhalb kürzester Zeit" möglich, allerdings müsste ein neuer Impfstoff noch einmal ein Zulassungsverfahren durchlaufen.
Sahin bekräftigte aber seine Einschätzung, dass der bestehende Impfstoff auch gegen die kürzlich bekannt gewordene Mutation hilft - er halte dies für "außerordentlich wahrscheinlich". Biontech werde die Wirksamkeit des Vakzins bei der Mutation nun wissenschaftlich untersuchen und in zwei Wochen Ergebnisse vorlegen.
RKI-Präsident Wieler appellierte unabhängig von der möglicherweise auch in Deutschland auftretenden Mutation eindringlich an die Bevölkerung, alle Kontakte "auf das absolute Minimum" zu reduzieren. Die Menschen sollten auf alle Reisen verzichten. Bei den ersten Anzeichen einer Atemwegsinfektion sollten sie für mindestens fünf Tage zu Hause bleiben.
Wieler erwartet, dass es trotz des harten Lockdowns Wochen dauert, bis sich die Zahl der Schwerkranken und Toten reduziert. Am Dienstag meldete das RKI 19.528 Neuinfektionen und 731 weitere Tote - dies waren 5000 mehr Infektionen und 231 mehr Tote als am Dienstag der Vorwoche.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) erwartet rund um den Termin für das derzeit geplante Ende des harten Lockdowns eine dritte Corona-Welle in Deutschland. "Es wird eine dritte Welle geben. Die Frage ist, wie hoch sie ist", sagte Kretschmer in Dresden.
Derzeit würden Experten davon ausgehen, dass sich diese dritte Welle im Zeitraum 10. bis 15. Januar in Deutschland zeige, sagte Kretschmer. Zum 10. Januar ist bisher das Ende des derzeitigen harten Lockdowns geplant, allerdings wird bereits über eine Verlängerung der Maßnahmen gesprochen.
Derweil haben viele Gesundheitsämter wegen technischer Mängel nach wie vor erhebliche Probleme, die Kontakte von Corona-Infizierten effektiv nachzuverfolgen. Selbst wenn das genaue Infektionsumfeld bekannt sei, könne dieses bei einem Viertel der Gesundheitsämter wegen Mängeln etwa bei der IT-Ausstattung gar nicht erfasst werden, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Kai Gehring, die AFP vorlag.
by STEFANIE LOOS