Als Reaktion auf EU-Sanktionen im Zusammenhang mit dem Giftanschlag auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny hat Moskau Einreiseverbote für Vertreter aus Deutschland und anderen EU-Staaten verhängt. Das russische Außenministerium erklärte am Dienstag, es habe beschlossen, "die Liste von Vertretern von EU-Mitgliedstaaten zu verlängern, denen die Einreise in die Russische Föderation untersagt wird". Der Kreml bezeichnete Nawalny als "kranken" Mann mit "Verfolgungswahn".
Die Gegensanktionen seien eine Reaktion auf "konfrontative" EU-Maßnahmen, erklärte das Außenministerium in Moskau. Namen veröffentlichte es nicht. Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin hieß es, bei den Sanktionen handele es sich unter anderem um "Einreisesperren gegenüber deutschen staatlichen Stellen". Die Maßnahmen seien aus Sicht der Bundesregierung "ungerechtfertigt". "Wir fordern Russland weiter auf, den Einsatz eines chemischen Kampfstoffs auf russischem Territorium gegen einen russischen Bürger aufzuklären", hieß es.
Die EU hatte im Oktober Sanktionen gegen sechs russische Funktionäre verhängt, weil nach ihrer Einschätzung der Giftanschlag auf Nawalny nicht ohne das Wissen und die Genehmigung staatlicher russischer Stellen hätte stattfinden können. Die Sanktionen richteten sich unter anderem gegen den Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, Alexander Bortnikow, und der Vize-Chef der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko.
Das Moskauer Außenministerium bestellte am Dienstag die Geschäftsträgerin der deutschen Botschaft und Vertreter der Botschaften Frankreichs und Schwedens ein, um über die Sanktionen zu informieren. Institute in diesen drei Ländern hatten erklärt, nach dem Anschlag auf Nawalny seien bei ihm Spuren einer Vergiftung mit einem chemischen Nervenkampfstoff aus der Nowitschok-Gruppe festgestellt worden. Die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) bestätigte den Befund.
Nawalny war im August während eines innerrussischen Fluges zusammengebrochen. Zwei Tage später wurde er im Koma liegend zur Behandlung in die Berliner Universitätsklinik Charité gebracht. Der Kreml bestreitet jede Beteiligung an dem Anschlag. Die russische Regierung wirft Berlin, aber auch Paris, Stockholm sowie der OPCW vor, ihr die Untersuchungsergebnisse vorzuenthalten.
Die Verkündung der Gegensanktionen erfolgte einen Tag nach der Veröffentlichung eines Videos von einem Telefonat Nawalnys mit einem angeblichen FSB-Agenten. Darin kontaktierte Nawalny nach eigenen Angaben unter falschem Namen einen angeblichen Chemiewaffenexperten des FSB, Konstantin Kudrjawzew, der Einzelheiten des Giftanschlags offenlegte. Nawalny veröffentlichte zudem ein Transkript und einen Mitschnitt des mehr als 45-minütigen Telefonats.
In der Annahme, mit einem Vorgesetzten zu sprechen, sagte Kudrjawzew, er sei an der Beseitigung von Beweismitteln beteiligt gewesen. Zudem sagte er, dass die Unterhose von Nawalny mit der giftigen Substanz präpariert worden sei.
"Der Kranke leidet eindeutig unter Verfolgungswahn und einigen Symptomen von Größenwahn", erklärte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Der Bezug zur Unterwäsche sei "freudianisch".
Der FSB bezeichnete den Telefonanruf zuvor als "Provokation", die nicht ohne die "Hilfe ausländischer Geheimdienste" möglich gewesen sei. Der FSB solle dadurch "diskreditiert" werden; der von Nawalny veröffentlichte Mitschnitt sei "gefälscht".
Die Anti-Korruptions-Stiftung von Nawalny reichte nach eigenen Angaben Klage gegen Konstantin Kudriawzew beim einflussreichen Ermittlungskomitee in Russland ein.
Kreml-Chef Wladimir Putin hat eine Beteiligung russischer Geheimdienste am Giftanschlag auf den Oppositionellen stets bestritten. Wären diese involviert gewesen, "hätten sie es zu Ende gebracht", sagte Putin in der vergangenen Woche bei seiner traditionellen Pressekonferenz zum Jahresende. Nawalny werde von US-Geheimdiensten unterstützt und müsse daher auch von den russischen Diensten beobachtet werden. "Aber dies bedeutet keineswegs, dass er vergiftet werden muss", sagte Putin.
by Von Antoine LAMBROSCHINI