Migrationsforscher erwarten durch die geplante EU-Asylreform eine Verschärfung der Flüchtlingskrise in Europa. Forschungen zu bereits in Pilotprojekten umgesetzten Maßnahmen des Reformpakets zeigten, "dass diese nicht menschenrechtskonform umgesetzt werden können", teilte der Rat für Migration am Mittwoch mit. Das Bundesinnenministerium hob dagegen hervor, menschenrechtliche Standards sowie das Recht auf individuelle Asylverfahren sollten im Rahmen der Reform gewahrt bleiben.
Der Rat für Migration kritisierte, es sei zu erwarten, dass die Vorschläge weitere Anreize für die Staaten an den Außengrenzen schafften, noch stärker illegale Zurückweisungen vorzunehmen und Schutzsuchende an den Grenzen zu inhaftieren. Auch bliebe das Grundproblem des Dublin-Systems bestehen, da hauptsächlich die Erstaufnahmestaaten für Aufnahme und weiteren Aufenthalt der Flüchtlinge verantwortlich seien. Damit gebe es für Staaten wie Griechenland, Italien oder Spanien de facto keinen Anreiz, ein inhaltliches Asylverfahren vorzunehmen.
Auch Forderungen der an den EU-Außengrenzen gelegenen Mitgliedstaaten nach tatsächlicher europäischer Solidarität würden nicht erfüllt. "Besser keine Reform als eine, die die Probleme verschärft", sagte der Vorsitzende des Gremiums, Vassilis Tsianos. Der Rat für Migration forderte ebenso wie weitere Wissenschaftler die Bundesregierung dazu auf, gegen die EU-Pläne zu stimmen, damit diese im Europäischen Rat keine Mehrheit finden.
Die auf Asyl- und Migrationsrecht spezialisierte Frankfurter Wissenschaftlerin Marei Pelzer kritisierte, mit der geplanten EU-Reform solle "der Zugang zum Asylrecht systematisch unterlaufen werden". So hätten die an den Grenzen Ankommenden keine anwaltliche Vertretung, ein faires Asylverfahren könne nicht stattfinden.
Pelzer zeigte sich skeptisch mit Blick auf Bestrebungen von Seiten der Bundesregierung, bei den umstrittenen Asylprüfungen Familien mit Kindern auszunehmen. Sie sehe keine große Unterstützung für diese Position auf EU-Ebene, sagte sie. Die Herausnahme von Familien sei zwar ein sinnvoller Ansatz, reiche aber auch nicht aus. Es gebe auch andere vulnerable Gruppen wie Kriegsflüchtlinge.
Am Donnerstag wollen die Innenministerinnen und -minister der Europäischen Union über die Pläne der EU-Kommission für eine Asylreform beraten. Im Kern geht es darum, Asylverfahren bereits an den EU-Außengrenzen ausführen zu können.
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums betonte in Berlin, diese Grenzverfahren sollten "nach rechtsstaatlichen Standards" ablaufen, maximal zwölf Wochen dauern und auch den Zugang zu Rechtsschutz beinhalten. Gesichert werden solle auch, dass es für alle Betroffenen "immer ein vollständiges, individuelles, rechtsstaatliches Verfahren gibt".
Auch bei Menschen aus sicheren Drittstaaten, werde der Schutzanspruuch individuell geprüft, versicherte der Sprecher. Werde die Frist von zwölf Wochen überschritten, solle es einen Anspruch auf Einreise in die EU geben.
Ziel sei, Anforderungen an "den Schutz von Flüchtlingen und einen humanitären Umgang" gerecht zu werden, sagte auch Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Er äußerte die Hoffnung auf "eine gute und tragfähige Lösung für alle" bei den Verhandlungen auf EU-Ebene. Diese dauerten demnach weiterhin an.
Der SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann warnte in Berlin, wenn die Reform scheitere, könnte "die Zeit der offenen Grenzen in Europa vorbei sein". Auch der Deutsche Landkreistag unterstützte die EU-Pläne. Gegen eine Asylrechtsrefom "um jeden Preis" wandte sich allerdings Grünen-Parteichef Omid Nouripour in RTL. Linken-Parteichef Martin Schirdewan warnte im Redaktionsnetzwerk Deutschland vor einer "menschenunwürdigen" Behandlung von Geflüchteten in den Grenzverfahren.
Zu einer "humanen Flüchtlingspolitik" mahnte auch Bischof Christian Stäblein für die evangelische Kirche in Deutschland. Das Deutsche Institut für Menschenrechte wandte sich gegen drohende Regelungen, die "vorrangig auf Abschreckung und die Auslagerung von Asylprüfungen an die Außengrenzen" setzen.
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