Die Nachrichten von tödlichen Badeunfällen haben in den vergangenen Wochen erneut dazu geführt, dass über mangelnde Schwimmfähigkeiten diskutiert wird. "Früher war es normal, dass Kinder, die in die Schule kommen, sicher schwimmen und Radfahren können", sagt Michael Groß (56) im Interview mit spot on news. Und der mehrfache Olympiasieger und Weltmeister im Schwimmen fügt hinzu: "Wir waren alle stolz auf unser Seepferdchen auf dem Schwimmanzug und der Badehose. Beim Schwimmen ist das nicht mehr so. Das hat viele Ursachen. Es gibt weniger Möglichkeiten zum Schwimmen lernen, es gibt weniger Ausbilder und auch Eltern kümmern sich nicht immer konsequent darum, dass die eigenen Kinder schwimmen lernen."
Eine Idee wäre, "dass alle Eltern einen Gutschein bekommen für einen Schwimmkurs ihrer Kinder, der vom Staat bezahlt wird", so Groß. "Und die freiwillige, ehrenamtliche Arbeit in der DLRG, die schwimmen lernt, müsste stärker anerkannt werden."
Der ehemalige Sport-Star, der zusammen mit seiner Frau Ilona gerade das Buch "Das Beste liegt vor uns" (Riva) veröffentlicht hat, ist im Juni 56 Jahre alt geworden. "Die Zahl heißt, ich kann noch viel gestalten in meinen Leben, zusammen mit anderen. Mindestens zehn Jahre bin ich noch im Job. Da kann viel passieren und ich kann viel vor mir aufnehmen." Groß arbeitet als Coach und Buchautor, ist Inhaber einer Beratungsfirma und unterrichtet an der Universität Frankfurt am Main zum Thema "Digital Leadership".
Mit seinem Buch will er den Lesern nun mitgeben, dass "die Zukunft mehr bietet, als wir brauchen, trotz der akuten Corona-Krise. Wir sollten, je älter wir sind, auswählen, was wirklich das Beste für uns ist, das vor uns liegt. Dabei sollten wir uns nicht verrückt machen lassen, was zum Beispiel alles durch die Digitalisierung möglich wird, wie die ständige Erreichbarkeit. Wir sollten selbst das Leben nicht völlig optimieren, sondern Freiraum für Unerwartetes und Überraschungen auf dem Weg behalten".
Und wie lässt sich die Corona-Krise für einen Neustart nutzen? "Den Fokus sollten wir darauf richten, was direkt erreichbar ist, um wieder Fahrt aufzunehmen", sagt Groß. "Das kann im Job etwas völlig Neues sein, das wir anpacken. Oder umgekehrt, wenn wir zu viel um die Ohren haben, auch der bewusste Verzicht, um neue Perspektiven zu schaffen. Das fängt damit an, mehr Zeit für sich und die Menschen, die einem lieb sind, zu bekommen. Dadurch erreichen wir mehr Wertschätzung für die Dinge, die uns wichtig sind. Und wir werden weniger getrieben durch alles, was dringend ist."
Viele Menschen waren in den vergangenen Monaten vor allem zu Hause, haben sich weniger bewegt. Personen, die keine 20 mehr sind, und (wieder) anfangen wollen, sich zu bewegen, rät der ehemalige Sportler: "Langsam anfangen, probieren und spüren, was gut tut. Zweimal 15 Minuten pro Woche können dazu reichen zum Start. Am Beginn gefühlt eher zu wenig als zu viel. Auf jeden Fall behutsam den Kreislauf und die Koordination trainieren. Schwimmen ist dafür zum Beispiel gut geeignet."
"Mir selbst genügen heute drei bis vier Stunden in jeder Woche an Sport, Fitnessstudio und Mountainbiking vor allem", verrät Groß. "Und das mäßig und regelmäßig. Die Zeit dafür nehme ich mir. Denn auch im Kopf kann ich in der Zeit sehr gut entspannen."
Im Gegensatz zu Fußballern können Schwimmer durch ihren Sport nicht Millionen einnehmen. War das für Michael Groß jemals ein Problem? "Nein, jeder sollte das machen, was ihm Freude bereitet. Der Rest ergibt sich. Das gilt besonders bei einem Hobby, was das Schwimmen immer für mich war." Auf die Frage, ob er nach der erfolgreichen Karriere mal einen mentalen Durchhänger hatte, antwortet Groß: "Nicht nur einen. Enttäuschungen zum Beispiel sollte man 'sacken lassen'."
"Im Job zum Beispiel, wenn ein Kunde verloren wird. Das ist ärgerlich. Oder wenn die Gesundheit einem einen Streich spielt. Das ist für einen ehemaligen Leistungssportler schwierig. Dabei habe ich gelernt, wieder nach vorne zu schauen, was vor mir liegt. Vielleicht auch, was an neuen Dingen entdeckt werden kann, die ich sonst nicht gesehen hätte, wenn alles 'normal' gelaufen wäre." Sein bisheriges Fazit für sein Leben nach dem Sport lautet: "Wer zu viel plant, den überrascht jeder Zufall. Zwar habe ich stets eine Perspektive für die nächsten Jahre, bin jedoch zugleich offen dafür, was passiert. Über neue Herausforderungen auf dem Weg, und da gibt es gerade einige, kann ich mich weiterentwickeln und neue Perspektiven bekommen."
In "Das Beste liegt vor uns" gibt es auch Tipps zum Thema Beziehung. Was ist Michael Groß' wichtigster Grundsatz in seiner Ehe? "Zuneigung und Freiraum sind für uns elementar, und zwar buchstäblich", erklärt er. "Sich dem anderen und dessen Bedürfnissen zuneigen, stärkt jede Beziehung, besonders in schwierigen Zeiten. Dazu gehört, dem anderen Freiraum für eigene Interessen zu geben, zum Beispiel bei meiner Frau das Reiten mit ihrem Pferd. So entsteht eine Partnerschaft, sich gegenseitig Energie zu schenken, sich gegenseitig überraschen zu können und die gemeinsame Zeit zu genießen."