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Merkel verteidigt Corona-Maßnahmen als "erforderlich und verhältnismäßig"

Opposition fordert Mitsprache des Bundestags - Gauland wirft Bund "Kriegspropaganda" vor

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat im Bundestag die neuen Corona-Einschränkungen verteidigt. "Die Maßnahmen, die wir jetzt ergreifen, sind geeignet, erforderlich und verhältnismäßig", sagte sie am Donnerstag. Redner der Opposition forderten mit teils scharfen Worten mehr Mitsprache des Bundestags. Die Corona-Neuinfektionen erreichten derweil mit 16.774 Fällen binnen eines Tages einen neuen Höchststand, wie aus Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) hervorgeht.

Merkels Regierungserklärung wurde vor allem zu Anfang von lautstarken Zwischenrufen aus den Reihen der AfD unterbrochen. Erst als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) die Abgeordneten ermahnte, wurde es ruhiger.

Die Kanzlerin betonte: "Wir befinden uns zu Beginn der kalten Jahreszeit in einer dramatischen Lage." Es gebe kein anderes, milderes Mittel als konsequente Kontaktbeschränkungen, um das Infektionsgeschehen auf ein beherrschbares Niveau zu bringen. Es gehe darum, die Kontakte massiv zu reduzieren, am besten um 75 Prozent.

Mit Blick auf die Schließung von Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie der Gastronomie sagte Merkel: "Ich verstehe die Frustration, ja die Verzweiflung gerade in diesen Bereichen sehr." Die vielen erarbeiteten Hygienekonzepte seien nicht sinnlos, sie würden später wieder gebraucht. Aber in der gegenwärtigen Infektionslage "können diese Hygienekonzepte ihre Kraft nicht mehr entfalten".

Bund und Länder hatten am Mittwoch einen weitgehenden Lockdown ab Montag beschlossen. In der Öffentlichkeit dürfen sich dann bis Ende November nur noch Menschen aus zwei Haushalten gemeinsam aufhalten, maximal zu zehnt. Restaurants und Bars müssen schließen, ebenso Einrichtungen aus Sport, Kultur und Freizeit. Schulen und Kitas bleiben offen, auch die sonstigen Unternehmen können weiter arbeiten. Nach zwei Wochen sollen die Maßnahmen überprüft und wenn nötig angepasst werden.

FDP-Fraktionschef Christian Lindner kritisierte die Entscheidungsmacht der Regierungen von Bund und Ländern. "Der Ort der Entscheidung muss das Parlament sein", forderte er. Wenn dieses die Beschlüsse nur noch nachträglich zur Kenntnis nehmen könne, gefährde das nicht nur die Akzeptanz der Maßnahmen. Solche Entscheidungsprozesse hätten auch "erhebliche rechtliche Risiken".

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte, seine Fraktion unterstütze die Bund-Länder-Beschlüsse. Nach sieben Monaten Pandemielage müssten aber weitere Konkretisierungen im gesetzgeberischen Bereich erfolgen. Er nannte unter anderem Zustimmungsvorbehalte für das Parlament und eine Begründungspflicht für Rechtsverordnungen.

CDU/CSU-Fraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) wandte sich gegen den von Lindner erhobenen Vorwurf des "Aktionismus" von Bund und Ländern. Die Bundes- und Landesregierungen hätten "immer wieder sehr sehr ernsthaft abgewogen, was geht und was nicht geht". Brinkhaus verwies zugleich auf den Bund-Länder-Föderalismus in Deutschland. "Die Rechtsdurchsetzung obliegt den Ländern", betonte er.

AfD-Fraktionschef Alexander Gauland warf der Bundesregierung "Kriegspropaganda" vor und sprach von einer "Corona-Diktatur auf Widerruf". Derart weitreichende Beschlüsse dürften nicht am Parlament vorbei gefasst werden.

Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt forderte eine Strategie für die Zeit nach dem begrenzten Lockdown. Sie verlangte ebenfalls mehr Mitbestimmung der Parlamente. Gewaltenteilung heiße, auch Bundestag und Bundesrat fassten Beschlüsse. Auch Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed forderte, das Parlament über die Maßnahmen entscheiden zu lassen.

Städtetagspräsident Burkhard Jung sagte der "Rheinischen Post" vom Donnerstag, die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen seien "hart, aber richtig". Es sei "besser, jetzt entschlossen zu handeln, als später mit Versäumnissen zu hadern".

by Tobias SCHWARZ