Mehrere EU-Staaten sind einer Bitte Griechenlands gefolgt und haben zugesagt, minderjährigen Flüchtlingen aus dem zerstörten griechischen Lager Moria Schutz zu gewähren. Wie die Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag aus Verhandlungskreisen erfuhr, geht es um die Verteilung von rund 400 Menschen. “Deutschland und Frankreich werden sich daran beteiligen”, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Auch die Niederlande erklärten sich bereit, hundert Flüchtlinge aufzunehmen. Derweil harren auf der Insel Lesbos noch tausende Menschen ohne Unterkunft und Nahrung aus.
Merkel sagte bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin, sie habe den griechischen Regierungschef Kyriakos Mitsotakis gefragt, “was wir helfen können”. Er habe die Bitte geäußert, die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland werde außerdem “sofort” dabei helfen, eine “neue und bessere Unterbringung” für die von dem Brand in Moria Betroffenen zur Verfügung zu stellen, fügte Merkel hinzu.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bestätigte bei einem Besuch in Korsika, dass er gemeinsam mit Merkel eine europäische Initiative zur Aufnahme der Menschen plane. “Wir werden versuchen, eine möglichst große Zahl europäischer Länder zu bewegen, Flüchtlinge aufzunehmen, vor allem Minderjährige”, sagte er. Die Zahl von 400 sei nur eine ungefähre Größenordnung und könne sich im Laufe der Gespräche noch ändern, hieß es aus Verhandlungskreisen. Sie hänge auch ab von den Wünschen der griechischen Regierung.
Die Niederlande boten an, etwa hundert Migranten aufzunehmen. Es handele sich um “ein Kontingent von Minderjährigen und Familien”, sagte die stellvertretende Ministerin für Justiz und Sicherheit, Ankie Broekers-Knol.
Das auf der griechischen Insel Lesbos gelegene Lager war zuvor bei einem Brand zerstört worden, mehr als 12.000 Menschen wurden obdachlos. Die EU-Kommission hatte bereits am Mittwochabend angekündigt, Griechenland bei der sofortigen Verlegung und Unterbringung der auf Lesbos verbliebenen unbegleiteten Minderjährigen zu helfen.
In Deutschland war nach dem Großbrand von vielen Seiten die Forderung nach einer schnellen Aufnahme von Flüchtlingen laut geworden. Das CSU-geführte Bundesinnenministerium lehnte es aber ab, dies im deutschen Alleingang zu tun; es forderte eine europäische Initiative.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) geriet deswegen unter starken Druck: Der Koalitionspartner SPD unterstellte ihm eine Blockadehaltung. SPD-Chefin Saskia Esken will laut einem Bericht der “Welt” die Frage im Koalitionsausschuss klären, sollte sich Seehofer “nicht bewegen”.
Auch Unionspolitiker forderten eine sofortige Aufnahme von Flüchtlingen aus Moria. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) plädierte für die Aufnahme von 2000 Flüchtlingen in Deutschland. Der menschenrechtspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Michael Brand (CDU), schlug im SWR vor, dass Deutschland notfalls im Alleingang 5000 Flüchtlinge aufnehmen sollte.
Die Vizepräsidentin des Europaparlaments, Katarina Barley (SPD), kritisierte die EU-Flüchtlingspolitik als “europäische Schande”. Barley nannte es im ZDF “absurd”, dass viele Städte und Gemeinden in Deutschland schon lange bereit seien, Flüchtlinge aufzunehmen, dies aber nicht dürften, weil die Zustimmung des Bundes fehle.
Angebote zur Aufnahme liegen etwa aus Thüringen und Berlin vor. Auch die unionsgeführten Regierungen in Nordrhein-Westfalen und Bayern signalisieren Aufnahmebereitschaft.
Auch Politiker der Grünen und der Linken forderten eine rasche Aufnahme von Flüchtlingen in Deutschland. Grünen-Chef Robert Habeck sagte dem Bonner “General-Anzeiger” (Freitagsausgabe), dass sich Berlin “nicht weiter hinter anderen europäischen Staaten verstecken” dürfe. Er schlug eine finanzielle Unterstützung für die Mitgliedsländer und Kommunen vor, die freiwillig Kontingente von Flüchtlingen aufnehmen.
AfD-Chef Tino Chrupalla gab derweil den Bewohnern von Moria die Schuld an dem Feuer – “Brandstifter” dürften nicht nach Deutschland evakuiert werden. Den Verdacht der Brandstiftung bestätigten griechische Behörden allerdings bisher nicht.
by LOUISA GOULIAMAKI