Die Deutschen müssen sich womöglich auf eine weitere Verschärfung der Corona-Regeln einstellen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) drängte am Donnerstagabend bei einer CDU-Präsidiumssitzung auf einen Krisengipfel mit den Länder-Regierungsschef bereits in der kommenden Woche, wie die Nachrichtenagentur AFP aus Teilnehmerkreisen erfuhr. Sie plädierte demnach auch für Verschärfungen. Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, hält den derzeitigen Lockdown nicht für ausreichend.
Das Virus lasse sich nur mit deutlich zusätzlicher Anstrengung aufhalten, sagte Merkel laut Teilnehmern bei der CDU-Präsidiumssitzung. Der nächste Krisengipfel von Bund und Ländern ist eigentlich erst für den 25. Januar geplant. In Deutschland gilt seit Mitte Dezember ein harter Lockdown mit weitgehenden Schließungen im Handel und bei Dienstleistungen, in Schulen und Kitas sowie Kontaktbeschränkungen. Anfang Januar wurden die Maßnahmen verschärft und bis zum Monatsende verlängert.
Zuvor hatte bereits die "Bild"-Zeitung über eine Ministerpräsidentenkonferenz in der kommenden Woche berichtet, möglicherweise am Mittwoch. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) forderte ebenfalls ein Krisentreffen bereits in der kommenden Woche.
Merkel sprach sich laut Teilnehmern der CDU-Gremiensitzungen vor allem wegen der in Großbritannien grassierenden Mutation des Coronavirus dafür aus, die Kontakte zu reduzieren. Mit Blick auf Berichte zu Überlegungen einer Einstellung des Nah- und Fernverkehrs sagte sie demnach, keiner wolle den ÖPNV einschränken. Dieser müsse aber durch mehr Homeoffice entlastet werden.
RKI-Präsident Wieler mahnte ebenfalls ein härteres Gegensteuern an. "Diese Maßnahmen, die wir jetzt machen - für mich ist das kein vollständiger Lockdown", sagte Wieler. "Es gibt immer noch zu viele Ausnahmen." Zuvor war mit 1244 Corona-Toten binnen 24 Stunden ein neuer Höchststand erreicht worden. Die Zahl der Neuinfektionen gab das RKI am Donnerstag mit 25.164 an. Die Sieben-Tage-Inzidenz lag mit 151,2 leicht unter dem Wert des Vortags.
Wie der RKI-Präsident sagte, lässt sich die aktuelle Infektionslage wegen der zurückliegenden Feiertage und der damit verbundenen geringeren Zahl von Arztbesuchen nicht leicht interpretieren. Es gebe aber eine positive Entwicklung. "Der Anstieg ist vermutlich nicht mehr so steil wie im Dezember."
Nach den Feststellungen des RKI schränkt sich die Bevölkerung aber aktuell deutlich weniger in ihrer Mobilität ein als im ersten Lockdown im Frühjahr 2020. So habe sich an den Sonntagen im Dezember gezeigt, dass die Menschen viel häufiger unterwegs gewesen seien als im Frühjahr. Die Mobilität sei immer noch zu hoch. Wieler forderte außerdem Unternehmen auf, noch mehr Homeoffice möglich zu machen.
RKI-Epidemiologe Dirk Brockmann sagte, es sei eine "totale Konsensaussage" aller Modellberechnungen, dass die Lockdownmaßnahmen weiter verschärft werden müssten, um das Infektionsgeschehen einzudämmen. Wieler befürwortete eine Verschärfung etwas zurückhaltender als "Option".
Dem RKI sind bisher 16 Fälle der in Großbritannien aufgetauchten Mutation bekannt, dazu vier Fälle aus Südafrika. Bei der britischen Mutation habe sich erwiesen, dass die Ansteckungsgefahr um etwa 50 Prozent höher liege.
Zur Lage auf den Intensivstationen sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, der "Rheinischen Post", es sehe so aus, "als hätten wir den Höhepunkt bei den intensivpflichtigen Patienten überschritten".
Derzeit scheine es zudem so, als ob die befürchtete Verschärfung der Lage auf den Intensivstationen durch Treffen an Weihnachten und Silvester ausbleiben würde, fügte der Verbandschef hinzu.
Das Divi-Intensivregister, das bundesweit Daten zur Belegung der Intensivstationen sammelt, meldete am Donnerstagmittag 5125 Corona-Patienten in intensivmedizinischer Betreuung. 2943 von ihnen mussten demnach invasiv beatmet werden. Insgesamt waren 22.616 Intensivbetten in Deutschland belegt und 4383 frei.
by Ina FASSBENDER