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Menschenrechtler verlangen mehr Mitsprache der Parlamente in Pandemie

Kritik an Umgang mit erkrankten Abschiebe-Kandidaten im Jahresbericht

Das Deutsche Institut für Menschenrechte (DIMR) hat Bund und Länder aufgefordert, die Schutzmaßnahmen in der Corona-Pandemie auf eine stabilere rechtliche Grundlage zu stellen. "Je länger die Pandemie andauert, desto dringlicher ist es, dass Bundestag und Landtage über die Maßnahmen zum Schutz der Menschen vor Covid-19 entscheiden", sagte Institutsdirektorin Beate Rudolf am Dienstag in Berlin. Das Institut legte seinen Jahresbericht vor, darin forderte es auch mehr Rücksicht auf Menschen, die abgeschoben werden sollen, aber erkrankt sind,

Die jüngste Reform des Infektionsschutzgesetzes sei "ein erster wichtiger Schritt" gewesen, betonte Rudolf mit Blick auf die Pandemie-Politik. Allerdings solle der Bundestag die Maßnahmen präziser fassen.

So solle der Bundestag klarstellen, dass Eltern der Kontakt zu ihren erkrankten Kindern nicht verboten werden dürfe - weder im Krankenhaus noch bei häuslicher Quarantäne. Ebenso solle das Parlament vorschreiben, dass Pflegeheime Besuchsverbote nur nach Abstimmung mit dem Gesundheitsamt verhängen dürfen.

Nach Überzeugung des Instituts soll zudem der Bundestag die Kriterien dazu festlegen, wer Zugang zu intensivmedizinischer Versorgung erhält, wenn die vorhandenen Betten nicht für alle ausreichen. "Der Bundestag muss sicherstellen, dass die Entscheidung nicht pauschal zu Lasten alter oder behinderter Menschen ausfällt", sagte Rudolf. Es reiche nicht aus, dass sich der Deutsche Ethikrat mit der Frage der sogenannten Triage befasse.

In dem Jahresbericht befasst sich das Menschenrechtsinstitut auch mit der Situation von Menschen, die abgeschoben werden sollen, obwohl sie krank sind. Wer in Deutschland Schutz suche, dürfe nicht abgeschoben werden, wenn sich sein Gesundheitszustand durch die Abschiebung gravierend verschlechtern würde oder gar sein Leben gefährdet sei. Die Betroffenen scheiterten in der Praxis aber oft an beschleunigten Asylverfahren sowie rechtlichen, bürokratischen, sprachlichen und finanziellen Hürden, heißt es in dem Bericht. So sei es zwar Sache der Betroffenen, ihre Krankheit nachzuweisen. In der Praxis sei das aber oft schwer machbar.

Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, teilte die Kritik. Im Abschiebealltag komme es immer wieder zu unerträglichen Vorfällen, etwa wenn traumatisierte Geflüchtete aus Klinken heraus abgeholt oder von ihren Familienangehörigen getrennt würden. "Hier muss dringend umgesteuert werden", forderte Jelpke.

In dem Jahresbericht fordert das Menschenrechtsinstitut zudem Verbesserungen bei Berufsausbildung von Jugendlichen mit Behinderung. 80 bis 90 Prozent absolvierten eine Ausbildung in "Sonderformen" ohne anerkannte Abschlüsse. "Gesetzgeber, Schulen, Arbeitsagenturen und Unternehmen müssen konsequent von den Jugendlichen aus denken und ihrem Recht auf inklusive Berufsausbildung aus der UN-Behindertenrechtskonvention", erklärte Rudolf. "Das beginnt bei einer vorurteilsfreien Beratung zum Schulende, geht über eine Flexibilisierung von Ausbildungen durch die Angebote von Teilzeitausbildung, Modulen oder Teilabschlüssen bis hin zu barrierefreien Arbeits- und Ausbildungsstätten."

Das Deutsche Institut für Menschenrechte ist als unabhängige Menschenrechtsinstitution bei den Vereinten Nationen akkreditiert und legt dem Bundestag einmal im Jahr einen Bericht zur Lage der Menschenrechte in Deutschland vor.

by Ina FASSBENDER