Die Chilenen haben am Sonntag in einem historischen Referendum mit deutlicher Mehrheit für eine Verfassungsreform gestimmt. Mehr als 78 Prozent der Wähler sprachen sich laut einer Hochrechnung für eine Änderung der bisherigen Verfassung aus, die noch aus der Zeit der Diktatur unter Augusto Pinochet (1973-90) stammt, wie die Wahlbehörde nach Auszählung der Stimmen in knapp 87 Prozent der Wahllokale mitteilte.
In der Hauptstadt Santiago de Chile versammelten sich Befürworter der Verfassungsänderung auf der zentralen Plaza Italia, um ihren Erfolg zu feiern. Chiles konservativer Präsident Sebastián Piñera appellierte an den nationalen Zusammenhalt. Die alte Verfassung habe das Land gespalten, sagte Piñera in einer Rede im Präsidentenpalast. "Von heute an müssen wir alle daran arbeiten, dass die neue Verfassung einen großen Rahmen schafft für Einheit, Stabilität und Zukunft."
Zahlreiche Bürgerbewegungen und politische Parteien der Linken und der Mitte sehen die aktuelle chilenische Verfassung als ein Hindernis für tiefgreifende soziale Reformen. Piñera hatte einem Referendum zugestimmt, nachdem es vor einem Jahr zu Massenprotesten im Land gekommen war.
Die Proteste hatten im Oktober 2019 begonnen, als die chilenische Regierung eine Erhöhung der Fahrscheinpreise im öffentlichen Nahverkehr um 30 Pesos (umgerechnet 3 Cent) verkündete. Bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizisten wurden mehr als 30 Menschen getötet.
Ursprünglich war das Referendum für April angesetzt, wegen der Corona-Krise wurde die Abstimmung jedoch auf Oktober verschoben. Die Chilenen mussten bei dem Referendum auch entscheiden, wer eine mögliche neue Verfassung entwerfen soll: eine gemischte Versammlung, zusammengesetzt aus Abgeordneten und Bürgern, oder eine reine Bürgerversammlung mit 155 Mitgliedern. Das Verfassungsgremium soll im April 2021 gewählt werden; über den von ihm erarbeiteten Entwurf soll dann im Jahr 2022 ein erneutes Referendum abgehalten werden.
by PEDRO UGARTE