Kult-Kommentator feiert 70. Geburtstag
“Noch nie hätte ein Tor einem Spiel so gut getan wie heute hier” – mit diesem Satz schrieb Marcel Reif 1998 ein Stück deutsche Fernsehgeschichte und avancierte zum Kult-Reporter unter Fußballfans. Am heutigen 27. November feiert der Sportjournalist seinen 70. Geburtstag.
Wir befinden uns im Jahr 1998 in Madrid: Borussia Dortmund tritt in der Champions League bei Real Madrid an. Doch der Anpfiff verzögert sich, da das Fußballtor vor Spielbeginn umkippt. Moderator Günther Jauch (63) und Kommentator Marcel Reif müssen die Zeit im Programm von RTL überbrücken. Sie erzählen Anekdoten und liefern bildhafte Beschreibungen vom Geschehen in Madrid. In den 76 Minuten bringt Reif jenen Satz unter, für den Jauch und er später mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet werden sollten.
Tore kommentieren, Leistungen bewerten und seinen Fußballsachverstand zum Besten geben: Seit über 30 Jahren sind das nicht nur die Anforderungen, die zu Marcel Reifs Beruf gehören. Für ihn ist es eine Berufung.
Reif wird 1949 im polnischen Walbrzych geboren, als Sohn einer schlesischen, deutschstämmigen Katholikin und eines polnischen Juden. Über den Umweg Israel landet Reifs Familie in Kaiserslautern, da der Vater bei den dort stationierten US-Streitkräften Arbeit findet. Bereits in seiner Jugend kickte Reif deshalb beim 1. FC Kaiserslautern. Für ihn eine gute Möglichkeit, sich selbst in den Kopf eines Fußballspielers zu versetzen.
Profisportler zu werden, war für Reif aber offenbar nie eine Option. In Mainz begann er, Publizistik, Politikwissenschaft und Amerikanistik zu studieren, brach aber vorzeitig ab. Auf seinem Weg in den Journalismus hinderte ihn das allerdings nicht. Nach anfänglichen Stationen im Politik-Ressort des ZDF wechselte er 1984 in die Sportredaktion des Senders. Relativ zügig durfte er selbst ans Mikrofon und Fußballspiele kommentieren.
Schnell nimmt Reif in der Fußballberichterstattung eine andere Rolle ein als die, die seine Reporterkollegen bis dato anboten. Während Fußballspiele vor seiner Zeit eher sachlich – fast teilnahmslos – kommentiert wurden, verbindet Reif Emotionen, Kompetenz und Witz: “Wenn Zwayer hier Elfmeter pfeift, haben wir ein durchgängiges Elfmeterschießen bis zur 90. Minute”, kommentierte er eine bevorstehende Entscheidung des Schiedsrichters 2016 im Spiel Schalke gegen Dortmund spitzzüngig. Reif sagt klipp und klar, was er denkt. Wenn ihm ein Spielzug gut gefällt, lässt er das den Zuschauer ebenso wissen, wie wenn er sich langweilt: “Wenn Sie dieses Spiel atemberaubend finden, haben Sie es an den Bronchien.”
Die Fans sind ob der offenen Kommentare von Reif gespalten. Die einen freuen sich über den – zeitweise – trockenen Humor und die klug gesetzten Pointen: “Robben ist keiner, der das unter der Decke hält, wenn er berührt wird. Naja… auf dem Fußballplatz”, kam es ihm 2015 im Spiel Schalke gegen Gladbach über die Lippen.
Andere schüttelten in der Vergangenheit nur mit dem Kopf, wenn er ein ums andere Mal Spielernamen gänzlich falsch ausgesprochen hat oder sogar Akteure auf dem Rasen verwechselte – letzteres passierte ihm beispielsweise oft bei den ehemaligen Bayern-Spielern Robben und Ribéry. In jedem Fall weiß Reif zu polarisieren.
Seine berufliche Laufbahn ging oft mit den Übertragungsrechten für Fußballspiele einher. Nach der Weltmeisterschaft 1994 verließ er das ZDF, um sich für fünf Jahre RTL anzuschließen. Anschließend folgte ein Engagement beim Pay-TV-Sender Premiere, dem heutigen Sky. Reif versuchte sich aber auch immer mal wieder abseits der Fußballberichterstattung in anderen Feldern. Von 2001 bis 2008 war er Promi-Rate-Pate in “Die 5-Millionen-SKL-Show” mit Günther Jauch bei RTL. Außerdem schrieb er jahrelang eine wöchentliche Kolumne für den “Berliner Tagesspiegel”.
2016 hatte Reif, mit damals 66 Jahren, offenbar genug vom Fußballgeschäft – zumindest auf der Kommandobrücke im Stadion. Er hing sein Mikrofon an den Nagel und beendete seine Karriere als Kommentator mit dem Champions-League-Finale im selben Jahr. Der “Süddeutschen Zeitung” sagte er zu seinen Zukunftsplänen damals: “Für die Zeit danach prüfe ich in Ruhe einige Angebote. Die Rolle als Patriarch, ich habe drei Söhne und zwei Enkel, wird mich jedenfalls so schnell noch nicht ausfüllen.”
Und so kam es auch. Noch im selben Jahr wechselte er zu Sport1, wo er seitdem als Experte in der sonntäglichen Fußball-Talkshow “Doppelpass” das Fußballgeschehen analysiert. Nur ein Jahr später gab Reif bekannt, dass er wieder Fußballspiele kommentieren wird. Allerdings nicht mehr in Deutschland, sondern für den Schweizer Pay-TV-Sender Teleclub.
In der Schweiz hat Marcel Reif bereits seit 1997 seinen Lebensmittelpunkt. Seine deutsche Staatsbürgerschaft hat er längst freiwillig aufgegeben. Der 2017 eingestellten Zeitung “Schweiz am Sonntag” sagte er einst: “Für mich war schnell klar: Wenn ich Schweizer werde, dann richtig. Hier ist mein Lebensmittelpunkt, von hier will ich nie mehr weg.”
Reif ist Vater von drei Söhnen, die er von zwei ehemaligen Partnerinnen hat. Seine jetzige Frau, die Medizinprofessorin Marion Kiechle, heiratete er 2010. Kiechle war zudem von März bis November 2018 als bayerische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst tätig.
Auch mit 70 Jahren hat Marcel Reif noch lange nicht genug vom Fernsehen. Nachdem er sich in diesem Jahr für eine Folge in der Comedy-Serie “jerks.” selbst spielte, wurde kürzlich bekannt, dass er ab dem 21. Dezember Teil einer neuen Kochshow von Johann Lafer (62) im NDR sein wird. Reif nimmt dort als Juror Platz und bewertet die Leistungen der prominenten Kochkandidaten. Seine Kompetenz in Sachen Essen wird er beweisen müssen. Emotionen und Witz sind bei seinen Urteilen aber in jedem Fall garantiert.
(ros/spot)