Der Ärzteverband Marburger Bund will gegen die Triageregelung im Infektionsschutzgesetz klagen. Dazu werde eine entsprechende Verfassungsbeschwerde gegen die im vergangenen November vom Bundestag beschlossene Gesetzesänderung vorbereitet, erklärte der Verband am Donnerstag in Berlin.
Die Gesetzesänderung habe vor allem bei Menschen, die auf Intensivstationen und in Notaufnahmen arbeiten, "zu Verunsicherungen auch im Hinblick auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen geführt", erklärte Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bunds. Es gehe dabei im Wesentlichen um die Frage, ob die im Infektionsschutzgesetz aufgestellten Anforderungen an Triageentscheidungen und Regelungen wie zum Beispiel das Verbot der sogenannten Ex-post-Triage "mit der grundrechtlich geschützten ärztlichen Therapiefreiheit kollidieren, die das Überleben möglichst vieler intensivpflichtiger Patienten zu erreichen versucht".
Unter Triage verstehen Mediziner ein System der Kategorisierung von Patienten, bei dem die hoffnungslosesten Fälle nicht mehr behandelt werden. Der Bundestag verabschiedete im November 2022 eine Gesetzesänderung, mit der die Rechte behinderter Menschen im Fall von Triageentscheidungen bei knappen Behandlungskapazitäten gestärkt werden. Mit dem Gesetz kam die Bundesregierung der Aufforderung des Bundesverfassungsgerichts nach, die Benachteiligung Behinderter bei der Triage gesetzlich zu verhindern.
Die Neuregelung gilt für jene Extremsituationen, in denen nicht genügend intensivmedizinische Kapazitäten zur Verfügung stehen - und Ärzte dann entscheiden müssen, wer behandelt werden kann und wer nicht. Im Kern stellt das Gesetz nun klar, dass diese ärztlichen Zuteilungsentscheidungen nur nach der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patienten getroffen werden dürfen. Die Option einer sogenannten Ex-post-Triage, also dass Ärzte die Behandlung eines Patienten zugunsten eines anderen mit besseren Überlebenschancen abbrechen dürfen, ist darin ausgeschlossen.
Damit gilt nach Auffassung des Marburger Bunds das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Kriterium der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit aber nur eingeschränkt. Es könne dazu führen, dass Menschen mit höherer Überlebenswahrscheinlichkeit sterben, weil sie keine intensivmedizinischen Ressourcen bekommen. "Das widerspricht unserem ärztlichen Ethos und dem Grundrecht der Berufsfreiheit", erklärte Johna.
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