In Belarus soll der langjährige Amtsinhaber Alexander Lukaschenko die Präsidentschaftswahlen laut einer offiziellen Prognose mit überwältigender Mehrheit gewonnen haben - doch die Opposition zweifelt dies an. Die "Mehrheit" der Bevölkerung stehe hinter ihr, sagte am Sonntagabend die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja. Kurz nach Veröffentlichung der Prognose strömten tausende regierungskritische Demonstranten in der Hauptstadt Minsk zusammen. Es kam zu gewalttätigen Konfrontationen mit den Sicherheitskräften.
Laut der Prognose des Staatsfernsehens soll der seit 26 Jahren mit harter Hand regierende Lukaschenko knapp 80 Prozent der Stimmen geholt haben. Tichanowskaja, zu deren Kundgebungen in den vergangenen Wochen immer wieder tausende Menschen gekommen waren, soll demnach nur 6,8 Prozent erzielt haben. Offizielle Ergebnisse standen in der Nacht zunächst noch aus. Die Wahlbeteiligung lag nach Angaben der Behörden bei 84,5 Prozent.
Tichanowskaja sagte nach Veröffentlichung der Prognose: "Ich glaube an das, was ich mit eigenen Augen sehe, und ich sehe, dass die Mehrheit hinter uns steht." Auch schon allein dadurch, "dass wir unsere Angst, unsere Apathie und unsere Gleichgültigkeit besiegt haben", habe ihre Seite triumphiert.
Die 37-jährige Hausfrau ohne politische Vorerfahrung hatte in den vergangenen Wochen an Zustimmung gewonnen, obwohl die Behörden hart gegen die Opposition vorgegangen waren. Tichanowskaja war angetreten, nachdem ihr Mann, der bekannte Blogger Sergej Tichanowski, inhaftiert und von der Wahl ausgeschlossen worden war.
Ungeachtet eines Demonstrationsverbots machten tausende Menschen im Zentrum von Minsk ihrem Unmut über die offizielle Wahlprognose Luft. Die Sicherheitskräfte gingen hart gegen die Protestierenden vor. Es sei "Spezialgerät" zur Auflösung von Menschenmengen eingesetzt worden, darunter Lärmgranaten, teilte die Polizei mit. Nach ihren Angaben gab es auch Festnahmen, eine Zahl nannte die Polizei jedoch zunächst nicht.
Offenbar wurden bei den Konfrontationen auch Menschen verletzt. Bilder in den Onlinenetzwerken zeigten Demonstranten, die mit blutüberströmten Gesichtern durch die Straßen liefen. Ein vom Sender Radio Liberty live übertragenes Video zeigte hunderte Bereitschaftspolizisten, die Demonstranten gegenüberstanden und Schockgranaten abfeuerten. Protestierende versuchten, Barrikaden zu errichten.
Oppositionsnahe Medien meldeten, ein Polizei-Mannschaftswagen sei in die Menge gefahren. Demnach sollen die Sicherheitskräfte auch Wasserwerfer eingesetzt und Gummigeschosse abgefeuert haben. Nach Stunden des Chaos verbreitete die staatliche Nachrichtenagentur Belta in der Nacht eine Mitteilung des Innenministeriums, die Lage sei "unter Kontrolle". Auch aus anderen Städten des Landes kam es laut Berichten örtlicher Medien zu Protesten.
"Eine tiefe, noch nie dagegewesene Krise zieht herauf", sagte Tichanowskajas Mitstreiterin Maria Kolesnikowa am Abend bei einer Pressekonferenz. Sie warf der Regierung Wahlbetrug vor. So habe die Beteiligung in mehreren Wahllokalen bei mehr als 100 Prozent gelegen. "Die Behörden sollten eingestehen, dass die Mehrheit auf der anderen Seite steht", sagte Kolesnikowa. Die Opposition hatte bereits vor dem Urnengang erklärt, sie rechne mit Wahlbetrug.
by Von Tatiana Kalinovskaya