Ende April wurde der Bundeslockdown von Bundesrat und Bundestag beschlossen. Doch offenbar hatten diese Maßnahmen nur wenig Einfluss auf die seitdem sinkenden Infektionszahlen. Nun rechnet der erste Ministerpräsident mit dem Bundeslockdown ab.
Als erster Landespolitiker kritisiert Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (67, CDU) in der “Welt am Sonntag“ den Nutzen des Bundeslockdowns. Haseloff zweielt, “ob dieses Gesetz nötig war, da sich bereits abzeichnete, dass die Inzidenzen sanken“. Nach Auffassung des CDU-Politikers habe diese Entscheidung vor allem “den rechten Extremisten in die Hände gespielt“. Am nächsten Sonntag wird in Sachsen-Anhalt die Landtagswahl stattfinden. Umfragen zeigen, dass es auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU und der AfD hinausläuft. Und wie es scheint, hat Haseloff mit seiner Kritik nicht ganz Unrecht. Denn eine Studie der Uni München kommt zu dem gleichen Ergebnis, wie der CDU-Politiker
Forscher und Statistiker der Ludwig-Maximilians-Universität München hatten untersucht, ob die von der Bundesregierung ergriffenen Maßnahmen der Bundesregierung eine Hilfe bei der Eindämmung der Corona-Wellen gewesen sind. Aus diesem Grund beobachteten die Forscher die Entwicklung des R-Werts. Dieser gibt die Dynamik des Infektionsgeschehens nämlich deutlich zuverlässiger an, als dies bei der 7-Tages-Inzidenz der Fall ist. Und das Ergebnis ist ernüchternd. Die Forscher kommen nämlich zum Ergebnis, dass “kein unmittelbarer Zusammenhang“ zwischen den sinkenden Zahlen und dem Bundeslockdown erkennbar ist! “Bei den R-Werten wie sie vom Robert-Koch-Institut täglich bestimmt werden, ergibt sich seit September kein unmittelbarer Zusammenhang mit den getroffenen Maßnahmen – weder mit dem Lockdown-Light am 2. November und dessen Verschärfung am 16. Dezember 2020, noch mit der “Bundesnotbremse“, die Ende April 2021 beschlossen wurde“, heißt es in der jetzt veröffentlichten Studie. Dies bedeutet, dass die Infektionszahlen auch ohne Lockdown bereits eine sinkende Tendenz aufgewiesen hatten. “Wenn die Maßnahmen der Regierung so wirksam sein sollten, dann müsste man nach dem Inkrafttreten Veränderungen des R-Wertes sehen. Aber das ist nicht der Fall“, erklärt Statistiker Ralph Brinks (47). Dies bedeutet im Umkehrschluß, dass der Effekt der Lockdowns (Ausgangssperren, Schließung von Schulen, Läden, Gastronomie) so gering ausgefallen sei, dass er sich praktisch nicht bemerkbar gemacht habe.
Die Wissenschaftler belegen in der Studie, dass die Infektionsdynamik sowohl vor der Einführung des “Lockdown-Light“ am 2. November 2020 und vor dessen Verschärfung am 16. Dezember sowie auch vor gesetzlich verankerten “Bundesnotbremse“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Sinken begriffen waren. “Alles drumherum hat einen Einfluss, die Nachrichtenlage und saisonale Effekte. Aber es waren nicht die Maßnahmen der Regierung selbst“, ist sich Brinks sicher. Auch die Androhung der Ausgangssperre soll demnach keine Effekt gehabt haben. “Wir sehen, dass der R-Wert schon gesunken ist, bevor über die ‚Bundesnotbremse‘ überhaupt diskutiert wurde”, glaubt Forscherin Prof. Annika Hoyer (31). Offensichtlich habe wohl das Verhalten der Leute selbst für einen Rückgang der Zahlen gesorgt. Dies wird auch von Beobachtungen aus anderen Ländern bestätigt. So sanken die Zahlen im gleichen Zeitraum auch in Schweden und der Schweiz, wo weitgehend auf einen Lockdown verzichtet worden war.