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Linksgerichtete Opposition siegt bei norwegischer Parlamentswahl

Sozialdemokrat Störe wird voraussichtlich neuer Regierungschef

Norwegen steht vor einem politischen Richtungswechsel. Bei den Parlamentswahlen am Montag siegte die überwiegend linksgerichtete Opposition unter Führung des Sozialdemokraten Jonas Gahr Störe. Die seit acht Jahren unter Ministerpräsidentin Erna Solberg regierenden Konservativen wurden abgewählt.

Laut den Hochrechnungen eroberten die fünf Oppositionsparteien zusammen 100 der 169 Parlamentssitze. Die Projektionen deuteten zugleich darauf hin, dass die sozialdemokratische Arbeiterpartei zusammen mit der Zentrumspartei und der Sozialistischen Linkspartei die absolute Mehrheit haben wird. Störe könnte damit die von ihm bevorzugte Mitte-Links-Koalition bilden. Diese Hochrechnungen aus der Nacht basierten auf der Auszählung von mehr als 95 Prozent der Stimmen.

"Wir haben gewartet, wir haben gehofft, und wir haben so hart gearbeitet, und nun können wir endlich sagen: Wir haben es geschafft!" rief der 61-jährige Millionär Störe vor jubelnden Anhängern aus. Kurz zuvor hatte Regierungschefin Solberg ihre Niederlage eingeräumt und Störe zum Sieg gratuliert. Dieser scheine "eine klare Mehrheit für einen Regierungswechsel" zu haben, sagte sie. Die Arbeit der von ihr angeführten konservativen Regierung sei "für dieses Mal beendet".

Störe war früher Minister in der Regierung des heutigen Nato-Generalsekretärs Jens Stoltenberg. Auch Stoltenberg hatte zusammen mit der Zentrumspartei und der Sozialistischen Linkspartei regiert. Sollten sich die Hochrechnungen bestätigen, wäre Störe - wie von ihm gewünscht - nicht auf ein Bündnis mit den beiden anderen Oppositionsparteien, den Grünen und den Kommunisten, angewiesen.

Störe hatte den Kampf für soziale Gerechtigkeit und eine "faire" Klimapolitik in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs gestellt. "Norwegen hat ein klares Signal gesendet: Die Wahl zeigt, dass die norwegischen Bürger eine fairere Gesellschaft wollen", sagte Störe zu seinem Wahlsieg.

Beherrschendes Thema des Wahlkampfs war seit der Veröffentlichung eines alarmierenden Berichts des Weltklimarats IPCC der Klimaschutz und Norwegens Öl-Branche. In dem Bericht wird gewarnt, die Erde erwärme sich noch schneller als bislang angenommen. Die Ölwirtschaft bildet bislang die Basis des enormen Reichtums von Norwegen. Das Land ist der größte Ölproduzent Westeuropas. Auf den Ölsektor entfallen 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, 40 Prozent der Exporte und 160.000 Arbeitsplätze.

Die Grünen verlangen jedoch einen sofortigen Stopp der Erschließung neuer Ölfelder und einen Komplettausstieg bis 2035 - Störe lehnt diese Fristsetzung ab. Wie auch die Konservativen strebt die Arbeiterpartei einen schrittweisen Ausstieg aus dem Öl an.

"Die Nachfrage nach Öl befindet sich auf einem absteigenden Ast", sagte der für Energiepolitik zuständige Sprecher der Arbeiterpartei, Espen Barth Eide. "Wir werden weiterhin Öl-Aktivitäten haben, aber wir müssen uns eingestehen, dass die besten Öl-Jahre hinter uns liegen." Nun müssten "Brücken zu künftigen Aktivitäten" errichtet werden.

by Von Pierre-Henry Deshayes und Tom Little