Die Sperrung des Twitter-Kontos von US-Präsident Donald Trump nach der Erstürmung des Kapitols stößt bei europäischen Politikern auf Kritik. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) halte es für "problematisch", wenn solche Schritte nicht innerhalb eines gesetzlichen Rahmens erfolgten, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire sagte, derartige Entscheidungen dürften nicht den Digitalunternehmen selbst überlassen werden.
Twitter hatte am Freitag Trumps Konto mit fast 89 Millionen Abonnenten nach dem Sturm auf das US-Kapitol dauerhaft gesperrt. Als Grund gab das Unternehmen "das Risiko weiterer Anstiftung zur Gewalt" an.
Mit ähnlicher Begründung hatte auch Facebook die Seite des Präsidenten bei dem Online-Netzwerk vergangene Woche bis auf Weiteres gesperrt. Trump wird vorgeworfen, für die Erstürmung des Parlamentsgebäudes am Mittwoch mitverantwortlich zu sein, nachdem er seine Anhänger mit seinen unbelegten Wahlbetrugs-Vorwürfen zum Marsch auf das Kapitol aufgerufen hatte.
Soziale Netzwerke hätten eine "hohe Verantwortung dafür, dass die politische Kommunikation nicht vergiftet wird durch Hass, durch Lüge, durch Anstiftung zur Gewalt", sagte Regierungssprecher Seibert. In das Grundrecht auf Meinungsfreiheit könne jedoch nur "innerhalb des Rahmens, den der Gesetzgeber definiert, nicht nach dem Beschluss der Unternehmensführung von Social-Media-Plattformen" eingegriffen werden. "Unter dem Aspekt" sehe Merkel die Sperrung "als problematisch".
Bei den Bundesbürgern fand die Sperrung aber breite Unterstützung. Wie die "Augsburger Allgemeine" (Dienstagausgabe) berichtete, erklärten in einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey vier von fünf Befragten (81 Prozent), es sei richtig, dass Twitter Trumps Account dauerhaft gesperrt habe. Nur 15 Prozent fanden den Schritt falsch.
Frankreichs Wirtschaftsminister Le Maire zeigte sich jedoch "schockiert" darüber, dass Twitter selbst diese Entscheidung treffen konnte. "Die Erstürmung ist Folge der Lügen von Herrn Trump", sagte er im Sender France Inter. Die Regulierung der Online-Netzwerke dürfe aber nicht durch die "Digitalriesen" selbst erfolgen, sondern sei Aufgabe der Staaten und der Justiz.
Unterstützung kam vom FDP-Außenpolitiker Alexander Graf Lambsdorff. Er teilte einen Tweet Le Maires mit den Aussagen und kommentierte: "So ist es."
Auch EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton nannte es "verblüffend", dass ein Unternehmenschef dem US-Präsidenten "ohne jegliche Kontrolle den Stecker ziehen kann". Mit Blick auf die Vorgeschichte der Erstürmung des Kapitols müssten sich die Netzwerke aber fragen lassen, warum sie es nicht geschafft hätten, "die Fake News und Hassreden, die zu dem Angriff am Mittwoch führten, von vornherein zu verhindern".
Breton sah die EU-Kommission durch die Vorfälle in ihren Plänen bestärkt, Online-Plattformen stärker in die Pflicht zu nehmen. Ein im Dezember vorgestellter Gesetzentwurf zu digitalen Diensten soll den Betreibern vorschreiben, konsequent gegen Hass- und Falschnachrichten, terroristische Inhalte und Kinderpornographie vorzugehen und dabei eng mit den nationalen Behörden zusammenzuarbeiten. Bei Verstößen drohen den Unternehmen hohe Strafen.
Breton regte in einem Gastbeitrag auf der Nachrichten-Webseite "Politico" an, bei den europäischen Reformplänen die neue US-Regierung unter dem künftigen Präsidenten Joe Biden an Bord zu holen. Er schlug einen Dialog mit Washington vor, "der zu global kohärenten Prinzipien führt".
by Olivier DOULIERY