114956:

Kreml-Kritiker Nawalny zu fast drei Jahren Haft in Strafkolonie verurteilt

Anhänger rufen zu sofortiger Demonstration in Moskau auf

Der Kreml-Kritiker Alexej Nawalny ist in Russland zu fast drei Jahren Haft in einem Straflager verurteilt worden. Das zuständige Gericht in Moskau entschied am Dienstag, dass der 44-Jährige eine bereits verhängte dreieinhalbjährige Bewährungsstrafe nun in einer Strafkolonie ableisten müsse. Allerdings werde ein früherer Hausarrest von der Zeit abgezogen. Das Urteil rief international Empörung hervor. Mehrere westliche Regierungen, darunter die von Deutschland, forderten Nawalnys sofortige Freilassung.

Die im Hausarrest verbrachte Zeit gelte als abgeleistete Haftstrafe, sagte Richterin Natalja Repnikowa. Nach Angaben von Nawalnys Anwältin Olga Michailowa würde dies auf "ungefähr" zwei Jahre und acht Monate Haft hinauslaufen. Sie kündigte an, gegen die Gerichtsentscheidung in Berufung zu gehen.

Unmittelbar nach Bekanntgabe des Urteils riefen Anhänger des wichtigsten Widersachers von Präsident Wladimir Putin zu einer sofortigen Demonstration in Moskau auf. "Wir ziehen ins Zentrum von Moskau", schrieben sie im Online-Dienst Twitter und riefen die Menschen auf, sich ihnen anzuschließen. Bereits an den vergangenen beiden Wochenenden waren zehntausende Russen gegen Putin auf die Straße gegangen.

Nawalny war 2014 wegen des Vorwurfs der Unterschlagung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden, die Strafe wurde aber zur Bewährung ausgesetzt. Diese Aussetzung auf Bewährung wurde nun zurückgezogen, weil Nawalny gegen Bewährungsauflagen verstoßen haben soll. Ihm wurde unter anderem vorgeworfen, er habe sich während seines Aufenthalts in Deutschland nicht zweimal monatlich bei den Behörden gemeldet. In Deutschland war der 44-Jährige nach einem Giftanschlag in Sibirien behandelt worden, durch den er beinahe getötet worden wäre und für den er den Kreml verantwortlich macht.

Nawalny hatte sich in der Anhörung vehement gegen eine drohende Gefängnisstrafe gewehrt und die Russen zum weiteren Widerstand aufgerufen. Hauptziel des juristischen Vorgehens gegen ihn sei es, "Millionen Menschen Angst einzujagen", sagte der Kreml-Kritiker vor Gericht.

Er machte erneut Putin für den Giftanschlag auf ihn verantwortlich, den er im August nur knapp überlebt hatte. Der Präsident werde "als Vergifter von Unterhosen in die Geschichte eingehen", sagte Nawalny. Nach seinen Angaben war das bei dem Anschlag genutzte Nervengift in seiner Unterhose versteckt worden.

Zugleich wies der Oppositionelle die Vorwürfe zurück, er habe während seines Aufenthaltes in Deutschland gegen Bewährungsauflagen verstoßen. Er habe den russischen Behörden seine Adresse in Deutschland mitgeteilt, sagte Nawalny.

Zu der Anhörung hatten sich vor dem Gerichtsgebäude dutzende Anhänger Nawalnys versammelt. Mehr als 300 Menschen wurden nach Angaben der Nichtregierungsorganisation OVD-Info in Gewahrsam genommen.

Nawalny war direkt nach seiner Rückkehr aus Deutschland am 17. Januar am Flughafen in Moskau festgenommen und im Eilverfahren zu 30 Tagen Haft verurteilt worden. Es war eine von bereits mehreren kürzeren Haftstrafen gegen Nawalny, lange Zeitstrecken wie die nun drohenden fast drei Jahre war er aber noch nie in Haft.

Mehrere westliche Länder forderten Nawalnys sofortige Freilassung. Das Urteil sei "ein herber Schlag gegen fest verbriefte Freiheitsrechte und Rechtsstaatlichkeit in Russland", schrieb Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) auf Twitter. US-Außenminister Antony Blinken erklärte, Nawalny müsse "umgehend und bedingungslos" freikommen.

Der britische Außenminister Dominic Raab sprach von einem "perversen Urteil, das ein Vergiftungsopfer ins Visier nimmt anstelle der Verantwortlichen". Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nannte die Verurteilung "inakzeptabel". "Eine politische Meinungsverschiedenheit ist niemals ein Verbrechen", schrieb er auf Twitter.

Die Menschenrechtskommissarin des Europarats, Dunja Mijatovic, erklärte, das Urteil "entbehrt jeder Glaubwürdigkeit". Nawalny hätte gar nicht vor Gericht gestellt werden dürfen, da das Urteil von 2014 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits als "willkürlich und offensichtlich unangemessen" eingestuft worden sei, fügte sie hinzu.

by Von Anna SMOLCHENKO