Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) sieht keinen Widerspruch zwischen einem engen transatlantischen Verhältnis und einer Stärkung der europäischen Eigenverantwortung im Verteidigungsbereich. "Wir bleiben sicherheitspolitisch von den USA abhängig und müssen gleichzeitig in Zukunft als Europäer mehr von dem selbst tun, was uns die Amerikaner bisher abgenommen haben", sagte Kramp-Karrenbauer am Dienstag in Hamburg.
"Die Idee einer strategischen Autonomie Europas geht zu weit, wenn sie die Illusion nährt, wir könnten Sicherheit, Stabilität und Wohlstand in Europa ohne die Nato und ohne die USA gewährleisten", hob Kramp-Karrenbauer in einer per Video übertragenen sicherheitspolitischen Grundsatzrede an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr weiter hervor. Sie verwies darauf, dass bislang rund 75 Prozent aller Fähigkeiten in der Nato von den USA zur Verfügung gestellt würden.
Um dies vollständig auszugleichen, wären die Kosten auf deutscher Seite viel höher als die viel diskutierte Nato-Verpflichtung zur Aufwendung von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung. "Ohne die nuklearen und konventionellen Fähigkeiten Amerikas können Deutschland und Europa sich nicht schützen. Das sind die nüchternen Fakten", gab Kramp-Karrenbauer zu bedenken.
Umso mehr sei aber wichtig, dass Europa für die USA ein "starker Partner auf Augenhöhe" sei und "kein hilfsbedürftiger Schützling", mahnte die Ministerin eine Stärkung der deutschen und europäischen Verteidigungsbeiträge an. "Nur wenn wir unsere eigene Sicherheit ernst nehmen, wird Amerika das auch tun", betonte sie weiter. Darin stimme sie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zu, fügte sie mit Blick auf unterschiedliche Akzentsetzungen bei der Rollenverteilung zwischen den USA und Europa in den vergangenen Tagen hinzu.
Konkret forderte die Ministerin ein gemeinsames Angebot der Europäer an die kommende US-Regierung unter dem gewählten Präsidenten Joe Biden. Dazu gehöre aus deutscher Sicht, "dass wir unsere Fähigkeiten in der Verteidigung ausbauen und dafür die Verteidigungshaushalte auch in der Corona-Zeit zuverlässig stärken". Ein "Verteidigungsplanungsgesetz" solle dies langfristig festschreiben. Dabei dürften neue Großprojekte nicht zu Lasten der Grundausstattung gehen.
Das Ende des Kalten Krieges habe nicht zu einem umfassenden Frieden geführt, sondern "unsere Sicherheit, unser Wohlstand, unser friedliches Zusammenleben werden ganz real bedroht", warnte die Ministerin. Sie verwies auf Herausforderungen durch die Aufrüstung Russlands, neue Attacken auf das westliche Modell der offenen Gesellschaft, das Risiko von Drohnenkriegen wie zuletzt zwischen Aserbaidschan und Armenien und Cyberangriffe von unterschiedlicher Seite.
Gleichzeitig gebe es Unsicherheiten auch im Kreis der Nato. "Wie verlässlich sind die Vereinigten Staaten von Amerika? Können wir Europäer uns aufeinander verlassen, wenn es darauf ankommt?", fragte Kramp-Karrenbauer mit Blick auf Erfahrungen der vergangenen Jahre. Sie erwähnte auch die Türkei als "schwierigen Bündnispartner". Wenn es um den Verteidigungshaushalt gehe, dann sei "ein realistischer und kritischer Blick" wichtig "auf die Welt, wie sie ist", mahnte die Ministerin.
by Michael Kappeler