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[Kommentar] Das Redmi 4 zeigt deutlich, wo Xiaomi noch ein paar Probleme hat

Xiaomi hat am Freitag drei neue Budget-Smartphones präsentiert, die geradezu symptomatisch für die aktuellen Entwicklungen der Firma sind. Denn das ehemalige Start-Up sieht sich zurzeit einigen Problemen ausgesetzt, die wir uns einmal etwas genauer ansehen wollen.

 

Xiaomi hat nicht unerhebliche Probleme. Diese Erkenntnis ist nicht neu und steht auch nicht im Mittelpunkt der jüngeren Veröffentlichungen von Counterpoint Research, dennoch sprechen die Zahlen auch dort teilweise eine deutliche Sprache. Die Marktanteile und Verkaufszahlen des nicht mehr ganz so jungen Unternehmens kennen zuletzt nur eine Richtung: Den Weg nach unten. Im Licht der jüngsten Neuerungen in der Redmi-Serie wollen wir uns daher einmal mit ein paar mehr oder weniger offensichtlichen Problemen auseinandersetzen.

Die Zahlen bei IDC und Counterpoint Research decken sich in etwa was die allgemeinen Trends auf dem chinesischen Markt angeht. Selbst wenn man die Beobachtungen mit der nötigen Skepsis rezipiert, lassen sich doch einige klare Feststellungen machen: Oppo und Vivo sind 2016 die klaren Gewinner, Huawei tritt ein wenig auf der Stelle, kann aber auch noch positive Zahlen verzeichnen und deutliche Einbrüche gibt es bei Apple und eben auch Xiaomi. Interessanterweise decken sich die Ansichten der Analysten aber auch weitgehend, wenn es darum geht die Probleme aufzuzeigen, denen sich Xiaomi zuletzt ausgesetzt sieht.

Offline-Vertriebswege und fokussierte Marketing-Strategien

Xiaomi hält bis heute weitgehend an einer Strategie fest, die sich auch Smartphone-Startups jüngeren Datums (man denke an OnePlus oder NextBit) angeeignet haben: Die Konzentration auf die Online-Vertriebswege. Das hat zunächst natürlich einen ganz einfachen Grund, schließlich konnte man es sich lange Zeit schlicht nicht erlauben, Smartphones in allzu großen Stückzahlen zu produzieren und damit ökonomische Risiken einzuegehen. Die daraus resultierenden Produktions- und vor allem Lagerkosten wären enorm. Stattdessen übte man sich bei Xiaomi lange in künstlicher Verknappung – ein Ansatz den OnePlus trotz aller gerechtfertigter Kritik perfektioniert hat – und setzte auf die sogenannten Flash Sales. Die hatten den angenehmen Nebeneffekt, dass sowohl in China selbst als auch international einiges an Aufmerksamkeit erregt wurde, wenn man es wieder einmal geschafft hatte, mehrere hunderttausend Exemplare des neuesten Mi-Smartphones innerhalb von Minuten unter das Volk zu bringen.

An die „klassischen“ Offline-Vertriebswege traut sich das Unternehmen, dass Ende 2014 das wertvollste Technologie-Startup der Welt war, bis heute aber nicht so recht heran. Ganz anders Oppo und Vivo, die nicht nur den Online-Vertrieb vorantreiben, sondern auch einen festen Stand in den lokalen Elektronikmärkten haben und immer mehr in eigene Filialen investieren. Beide Unternehmen gehören dem chinesischen Megakonzern BBK Electronics an und zählen zu den klaren Gewinner der rückläufigen Zahlen bei Xiaomi und Apple und konnten ihre Marktanteile im Vergleich zum Vorjahresquartal mehr als verdoppeln(!). Letztlich scheint es auch bei den chinesischen Kunden nicht groß anders zu sein als hierzulande und ein nicht unerheblicher Teil potenzieller Käufer möchte ein Smartphone vor dem Kauf zumindest einmal in der Hand gehalten haben. Das Beispiel der Apple-Stores zeigt zudem eindrucksvoll, wie solche Filialen auch eine Präsenz in den Köpfen der Kunden schaffen und die Marke stärken können, während sich Xiaomis Marketingabteilung lange ausschließlich auf Mund-zu-Mund-Propaganda (beziehungsweise das digitale Äquivalent weChat) verlassen hat.

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Marketing wäre überhaupt der zweite Punkt, den die meisten Analysten kritisieren. Dieses Jahr hat Xiaomi erstmals ebenfalls prominente Werbepartner eingesetzt um gerade jugendliche Kunden besser ansprechen zu können. Zuvor hat man sich jahrelang auch dieser Art der Werbung verweigert. Die IDC hat darüber hinaus bereits in ihrem Bericht zum zweiten Quartal festgestellt, wie entscheidend klare Botschaften zu Schlüsseltechnologien in diesem Bereich sein könne. Oppo hat sich mit den beiden R9-Smartphones, die jüngst ein Upgrade erhalten haben, auf die Selfie-Kamera und das Fast-Charging konzentriert, während Huawei bei seinem P9 vor allem die Leistung der Kamera beworben und sich dafür mit Leica auch einen mächtigen Partner an Bord geholt hat. Xiaomi dagegen fertigt dutzende Smartphones, die alle solide sind, aber oftmals Alleinstellungsmerkmale vermissen lassen.

Ein unübersichtliches und undifferenziertes Line-Up

Der chinesische Markt ist nicht nur unfassbar groß, sondern zumindest aus europäischer Warte aus sehr dynamisch. Apple und Samsung tun sich damit schon länger schwer, aber der zuletzt sehr rasante Aufstieg von Oppo und Vivo beweist einmal mehr, wie schnell sich das Blatt für alle Beteiligten wenden kann. Der letztjährige Shootingstar Huawei stagniert ebenfalls, kann sich aber darauf verlassen auch in westlichen Märkten ein festes Standbein zu haben und unfassbare Summen in Forschung und Entwicklung zu stecken. Xiaomi dagegen tut sich mit den veränderten Bedingungen und der zunehmenden Zahl an Konkurrenten in allen Preisregionen sichtlich schwer und scheint sich selber nicht ganz sicher zu sein, wo man denn eigentlich hin möchte.

Stattdessen expandiert man. Nicht nur in gänzlich neue Produktbereiche (Reiskocher, Fernseher, Tablets, Notebooks, Smart Home, Staubsauger, Zubehör und generell fast alles, das einen Schaltkreis enthält), sondern auch im Rahmen des eigenen Kerngeschäfts. So präsentierte das Unternehmen erst diesen Freitag drei neue Einsteiger-Smartphones, die symptomatisch für die Probleme des Unternehmens stehen. Mit den Modellen Xiaomi Redmi 4, Redmi 4a und Redmi 4 Prime möchte man abermals Anteile im Niedrigpreissegment zurückgewinnen und deckt dafür ein Preisfeld von 60 bis 120 US-Dollar ab.

Zum Weiterlesen: Xiaomi Redmi 4: Budget-Smartphone in drei Varianten

Insgesamt kommt man damit in 2016 auf über 20 neu vorgestellte Smartphones, obwohl man sich anders als Huawei und Samsung „weitgehend“ auf den asiatischen Markt konzentriert. Neben China und Indien ist man zuletzt aber auch in Malaysia, den Philippinen, Taiwan, Singapur, Indonesien und Brasilien offiziell und ohne Zwischenhändler aktiv.

Wie Xiaomi seine Smartphones aufteilt

Xiaomis Anfänge liegen in der Software-Entwicklung und die MIUI, eine von Beginn an beliebte alternative Oberfläche für Android, stellt auch heute noch einen integralen Bestandteil der Smartphones dar. In dem Versuch Hardware und Software für eine bessere Nutzungserfahrung zusammenzubringen, erschuf man dann die MI-Serie, die sich schnell zu einem Überraschungshit entwickelte. Dort legt man nicht nur mehr Wert auf das Design, sondern verbaut tendenziell auch die bessere Technik (Oberklasse-Prozessoren wie den Qualcomm Snapdragon 821 oder Kamera-Features wie eine optische Bildstabilisierung).

Xiaomi strukturiert seine Smartphones mittlerweile aber in zwei Serien: Mi und Redmi. Beide zeichnet ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis aus, vor allem wenn man den westlichen Maßstab heranzieht. Die Redmi-Phones fliegen aber international noch etwas unter dem Radar, da sie doch eher auf den Budget-Bereich abzielen – in Indien und China kommen sie damit aber gut an. Auch hier spart Xiaomi nicht an essentiellen Features, verbaut aber auch wesentlich günstigere Komponenten, sodass Performance oder Display- und Kameraqualität nie ganz mit den Flaggschiffen mithalten können. Zuletzt verschwammen die Grenzen dieser Aufteilung aber immer wieder: Das Mi Max beispielsweise ist in Sachen Performance nicht auf der Höhe der anderen Mi-Smartphones, wohingegen das Redmi Pro in Sachen Kamera die Flaggschiffe zumindest auf dem Papier überflügelt hatte und auch optisch neue Akzente setzte.

So ganz klar ist die Aufteilung also nicht, der Vorwurf ist aber auch kein neuer. Samsung hat sich jahrelang zurecht anhören müssen, das eigene Line-Up sei unübersichtlich. Selbst als jemand der sich täglich damit beschäftigt verliert man auch bei Xiaomi mittlerweile den Überblick über die zahlreichen Ankündigungen des Unternehmens in allen Bereichen. Stillstand bedeutet Rückschritt, schon klar, aber das Xiaomi Redmi 4 wirkt wie eine Affekt-Handlung, unterscheidet es sich doch nur minimal vom Vorgänger. Das Xiaomi Redmi 3 ist erst im Januar 2016 auf den Markt gekommen, also vor nicht einmal einem Jahr. Jetzt schon einen Nachfolger zu veröffentlichen wäre ja nicht weiter problematisch, wenn man in der Zwischenzeit nicht mit dem Xiaomi Redmi 3s und dem Xiaomi Redmi 3s Prime bereits zwei jeweils minimal verbesserte Varianten vorgestellt hätte. Und wer nun das Redmi 3s mit dem neuen Redmi 4 vergleicht wird ebenfalls feststellen, dass sich die Unterschiede doch arg in Grenzen halten, geschweige denn für den Normalverbraucher ersichtlich sein könnten. Einzig das Redmi 4 Prime stellt mit seinem Full HD-Display einen nennenswerten Sprung dar.

Aus den Fehlern anderer lernen

„Desire“ war ebenfalls mal ein klangvoller Name, doch auch HTC hat diese Marke durch unzählige Geräte verwässert, die entweder unterdurchschnittlich ausgestattet oder schlicht überteuert waren. Das die heutige die Preisgestaltung der Desire-Familie noch immer fragwürdig ist, steht aber auf einem ganz anderen Blatt. Xiaomi schickt sich an denselben Fehler zu begehen, nur verzichtet man auf die nicht immer nachvollziehbaren dreistelligen Zahlencodes der Desire-Serie und folgt dem koreanischen Ansatz, indem man Namenszusätze wie „a“, „s“, „Pro“ oder „Prime“ nach Belieben verteilt. Auch die Mi-Serie bleibt davon nicht verschont und sowohl das Mi4, als auch das Mi5 haben dieses Jahr bereits ein s-Upgrade erhalten. Die Unterschiede fallen mal mehr oder weniger groß aus, machen es aber nahezu unmöglich, konkrete Funktionen und Geräte herauszustellen und das Marketing-Budget darauf zu konzentrieren. Und stellt euch mal eine Xiaomi-Filiale vor, in die ein unwissender Kunde kommt und nach einem Redmi-Smartphone aus diesem Jahr fragt. Der bekommt erstmal sechs nahezu identische Modelle vorgelegt. Ja, läuft.

Samsung hat den Schritt irgendwann gewagt und sein Smartphone-Portfolio ausdifferenziert, entsprechende Namensgebungen und klare Serien eingeführt. Auch da hat es erhebliche Einbrüche gebraucht und die jetzige Aufteilung ist ebenfalls nicht perfekt, beziehungsweise verfällt Samsung mit den Modellreihen A, J, C, S und so weiter langsam wieder in alte Strukturen. Xiaomi sollte nun wirklich nicht daran scheitern müssen, zu viele Smartphones zu veröffentlichen, dafür sind die Geräte zu gut. Aber eine klare Struktur braucht es: Ein Mi- und ein Mi Note-Smartphone im Jahr und meinetwegen jährlich zwei Redmi- und Redmi Note-Modelle, aber keine S-, Pro- oder Prime-Varianten mehr. Wenn ihr wisst, dass ein besserer Prozessor ansteht oder ihr eigentlich doch ganz gerne noch ein Gigabyte RAM mehr und einen Fingerabdrucksensor einbauen möchtet, dann wartet halt ein paar Wochen. Aber verprellt keine Käufer, indem ihr sofort die nächstbessere Variante rausballert und euer eingeschränktes Marketing-Budget auf ein unübersichtliches Portfolio verschwendet. Der Umsetzung der von den Analysten bei IDC und Counterpoint Research angesprochenen Verbesserungsvorschläge – Offline-Filialen und eine verbesserte Marketing-Strategie – käme ein klares Portfolio ebenfalls entgegen.

Ja, der chinesische Markt tickt anders als der europäische, aber auch dort ist das Wachstum nicht unendlich wie die jüngsten Zahlen immer wieder beweisen. Und die Zahlen zeigen für Xiaomi derzeit auch nur in eine Richtung: Nach unten. Trotz großartiger Geräte wie dem Xiaomi Mi5 und Xiaomi Redmi Pro sowie wirklich innovativer Ankündigungen vom Kaliber eines Xiaomi Mi MIX, dass weltweit als wahr gewordener feuchter Traum vieler Geeks aufgenommen wird und der Marke auch international einen deutlichen Schub verpassen könnte. Doch auch abseits davon gibt es einiges das geändert werden muss, damit wir auch in Zukunft weiter von den tollen Smartphones des Unternehmens profitieren. Denn das Xiaomi Redmi 4 in all seinen Varianten zeigt deutlich, wo der einstige chinesische Superstar noch nachbessern muss: Nicht bei den Produkten, aber bei der Quantität. Manchmal ist weniger halt eben doch mehr.

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