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Koalitionsverhandlungen in Israel werden zur Zitterpartie

Gespräche dauern wenige Stunden vor Fristende an

Die Verhandlungen über eine Regierungsbildung in Israel werden zur Zitterpartie: Wenige Stunden vor Fristende seien die Gespräche in zwei Punkten "blockiert", hieß es am Mittwochnachmittag aus Verhandlungskreisen. Der Mitte-Politiker Jair Lapid und der nationalistische Hardliner Naftali Bennett wollen eine Regierung ohne den langjährigen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu schmieden. Am Mittwochmittag war der frühere Chef der linksgerichteten Arbeitspartei, Isaac Herzog, zum neuen Präsidenten des Landes gewählt worden.

Bis kurz vor Mitternacht am Mittwochabend (23.59 Uhr Ortszeit; 22.59 Uhr MESZ) haben Oppositionsführer Lapid und der nationalistische Hardliner Bennett Zeit, um im Parlament den nötigen Rückhalt für ihre Koalition des "Wandels" zu bekommen. Nach AFP-Informationen ist vor allem noch die Zusammensetzung eines Ausschusses zur Ernennung von Richtern sowie die Unterstützung der islamisch-konservativen Partei Raam fraglich.

Um ihr Anti-Netanjahu-Bündnis zu realisieren, benötigen Lapid und Bennett die Unterstützung einer Mehrheit der 120 Knesset-Abgeordneten. Vereinbarungen treffen müssten sie dafür mit sieben Parteien, darunter die Neupartei "Neue Hoffnung" des ehemaligen Netanjahu-Verbündeten Gideon Saar, die Siedler-Partei Jisrael Beitenu des säkularen Nationalisten Avigdor Lieberman, die Arbeitspartei und das Mitte-Bündnis Blau-Weiß des derzeitigen Verteidigungsministers Benny Gantz.

Bis zum Mittwochnachmittag hatten lediglich die Parteien der Linken und der Mitte das Koalitionsabkommen unterzeichnet. Zusätzlich zu den sieben Parteien bräuchte das Bündnis außerdem die Unterstützung vier weiterer Abgeordneter. Lapid setzt dabei auf die Raam-Partei. Deren Chef, Mansur Abbas, hat seine Offenheit signalisiert, sollte die neue Regierung die Lebensbedingungen der arabischen Minderheit in Israel verbessern. Seine Partei hat genau vier Sitze.

Lapid, der Chef der Partei Jesch Atid (Es gibt eine Zukunft), war von Präsident Reuven Rivlin mit der Regierungsbildung beauftragt worden, nachdem Netanjahu nach der Parlamentswahl im März erneut mit der Zusammenstellung einer Koalition gescheitert war. Am Sonntag hatte sich dann Bennett zu einem Bündnis mit Lapid bereit erklärt.

Im Gespräch ist offenbar eine rotierende Ausübung des Amts des Ministerpräsidenten. Berichten zufolge soll Lapid sich in den Verhandlungen bereit erklärt haben, Bennett nach dem Rotationsprinzip den Vortritt für den Posten des Regierungschefs zu überlassen.

Israel befindet sich nach vier Wahlen binnen zwei Jahren mit uneindeutigem Wahlausgang in einer politischen Krise. Sollte auch Lapid mit der Regierungsbildung scheitern, droht dem Land eine fünfte Parlamentswahl. Im Fall einer rechtzeitigen Einigung hätte Lapid anschließend sieben Tage für die Kabinettsbildung.

Zu einem eindeutigen Ergebnis kam am Mittwoch derweil die Knesset bei der Wahl des neuen Präsidenten: Mit 86 Stimmen wählten die Abgeordneten den früheren Arbeitspartei-Chef Herzog zum neuen Staatschef. Auf seine Rivalin, die ehemalige Schulleiterin Miriam Peretz, entfielen 26 Stimmen.

Herzog übernimmt das Präsidentenamt am 9. Juli von Rivlin, der nach sieben Jahren aus dem Amt scheidet. Der 60-Jährige ist der Sohn des früheren israelischen Präsidenten Chaim Herzog und blickt auf eine lange politische Karriere zurück. Der ehemalige UN-Botschafter seines Landes ist ein Befürworter der Zwei-Staaten-Lösung im Nahost-Konflikt. Derzeit ist er Präsident einer Organisation, die im Auftrag des Staates die Auswanderung von Juden nach Israel weltweit fördert. Der Staatspräsident hat in Israel überwiegend eine repräsentative Rolle.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gratulierte Herzog zur Wahl. "Für die einzigartige Beziehung und Freundschaft, die zwischen unseren Ländern gewachsen ist, kann sich Deutschland wahrlich glücklich schätzen, erklärte Steinmeier. Er freue sich darauf, gemeinsam mit Herzog in seinem "künftigen Amt zur Freundschaft zwischen Israel und Deutschland beizutragen".

by Von Daphne ROUSSEAU