Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte warnt vor einem gravierenden Mangel an Medikamenten für Kinder im Herbst und Winter. "Wir werden wieder in eine Versorgungsnot geraten, die noch schlimmer werden könnte als zuletzt", sagte Verbandspräsident Thomas Fischbach der "Neuen Osnabrücker Zeitung" vom Samstag. Es fehle an kindgerechten Fieber- und Schmerzmedikamenten, auch das Antibiotikum Penicillin gebe es derzeit nicht. Bayern erlaubt wegen der Lieferengpässe bei Antibiotikasäften für Kinder vorübergehend die Einfuhr von nicht zugelassenen Arzneimitteln.
In einem offenen Brief der Kinderärzte Deutschlands, Frankreichs, Österreichs und der Schweiz an die Gesundheitsminister dieser Länder zeigen sich diese "in großer Sorge aufgrund des erheblichen Medikamentenmangels für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen".
Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen sei dadurch "europaweit gefährdet". "Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich", heißt es in dem Schreiben, das AFP vorlag und über das zuerst die "Neue Osnabrücker Zeitung" berichtet hatte.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nannte die Sorge der Kinderärzte "berechtigt". Er verwies zugleich auf das Anfang April im Kabinett beschlossene Lieferengpassgesetz. Es sieht verschiedene Anreize für Pharmahersteller vor, damit der Verkauf in Deutschland lohnenswerter wird.
Auch die gesetzlichen Krankenkassen zeigten sich über die Lage besorgt. "Der Brandbrief zeigt, dass die Nichtlieferung von bestimmten Arzneimitteln ein europaweites Problem für die Menschen ist", sagte der Sprecher des GKV-Spitzenverbands, Florian Lanz. "Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt - dieses Vertrauen ist nun erschüttert."
Die Union kritisierte die bisherigen Versuche der Ampelkoalition, den Medikamentenengpass zu beseitigen, als "halbherzig". Lauterbach müsse "jetzt endlich Vorbereitungen treffen, damit sich das Medikamentenchaos des letzten Winters nicht wiederholt", erklärte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, Tino Sorge (CDU).
Bayern erlaubt unterdessen wegen der Lieferengpässe bei Antibiotikasäften für Kinder vorübergehend die Einfuhr von eigentlich in Deutschland nicht zugelassenen Arzneimitteln. Damit könnten "Pharmagroßhändler, Pharmafirmen und Apotheken unbürokratisch handeln", erklärte Landesgesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Samstag. "Wir müssen alle Möglichkeiten nutzen, um die Versorgung mit unentbehrlichen Arzneimitteln kurzfristig und unbürokratisch zu stabilisieren."
Lauterbach nannte die Reaktion Bayerns "richtig". "Genau für solche unbürokratischen Aktionen der Länder gegen Antibiotikalieferengpässe haben wir die Voraussetzungen jetzt geschaffen. Sie sollten genutzt werden", erklärte er.
Der frühere Vorsitzende des Weltärztebunds, Frank Ulrich Montgomery, drang auf eine EU-weite Medikamentenreserve. Auch müsse es Aufgabe der Politik sein, mit den passenden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Produktionsstandorte zurück nach Europa zu holen.
Dass unter den Engpässen bei der Medikamentenversorgung "vor allem Kinder und Krebskranke zu leiden haben", sei "erbärmlich" und zeige deutlich, "wohin eine übertriebene Kommerzialisierung der Medizin führt", sagte Montgomery den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Montgomery war bis April Chef des Weltärztebunds.
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