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Kinder verbringen in der Corona-Krise mehr Zeit mit Videospielen

Das sagt ein Experte dazu

Ist Mediensucht in der Corona-Krise eine besondere Gefahr für Kinder? Die DAK-Gesundheit und das Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf (UKE) untersuchen zusammen mit Suchtexperten erstmalig in einer Längsschnittstudie "die krankhafte Nutzung von Computerspielen und Social-Media nach den neuen ICD-11 Kriterien" der Weltgesundheitsorganisation (WHO), wie die Krankenkasse am Mittwoch (29. Juli 2020) bekanntgegeben hat. Dabei sollen auch die Auswirkungen der Corona-Pandemie berücksichtigt werden. An der Studie nehmen etwa 1.200 Familien teil.

700.000 Kinder betroffen

Laut ersten Zwischenergebnissen sei das Gaming-Verhalten von nahezu 700.000 Jugendlichen und Kindern "riskant oder pathologisch", heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Werktags habe die Spielzeit während des Corona-Lockdowns im Vergleich zum Herbst 2019 um 75 Prozent zugenommen. Unter der Woche kletterte die durchschnittlich mit Videospielen verbrachte Zeit damit von 79 auf 139 Minuten pro Tag. Für das Wochenende wurde ein Anstieg von fast 30 Prozent auf 193 tägliche Minuten verzeichnet.

Soziale Medien wie Instagram, Facebook oder Twitter seien zudem ähnlich problematisch. Im September 2019 zeigten auch hier 8,2 Prozent befragter Kinder und Jugendlicher "eine riskante Nutzung", was hochgerechnet etwa 440.000 10- bis 17-Jährigen entspreche. Eine pathologische Nutzung sei bei 3,2 Prozent - etwa 170.000 Mädchen und Jungen festgestellt worden. Die mit Social Media verbrachte Zeit seit während des Lockdowns von 116 auf 193 Minuten an Werktagen angestiegen - und damit um 66 Prozent.

Ob Schulschließungen und eingeschränkte Freizeitaktivitäten tatsächlich ein Wachsen der Mediensucht zur Folge haben, soll eine abschließende Befragung im Frühjahr 2021 zeigen. Als Pilotprojekt zusammen mit dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) möchte die Krankenkasse in Bremen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen ab dem 1. Oktober 2020 eine zusätzliche Vorsorgeuntersuchung anbieten. Auf der Internetseite "www.computersuchthilfe.info" sollen Betroffene und Angehörige ab August zudem Hilfestellungen und Informationen rund um Themen wie Videospiel-, Online- und Social-Media-Sucht erhalten.

Wunderbare Technologien mit Tücken

Bereits im April hatte ein Experte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur spot on news vor möglichen Gefahren gewarnt. Der Erziehungswissenschaftler und Familientherapeut Jürgen Eberle, Gründer der Praxis Mediensucht in München, erklärte: So "wunderbar" Technologien wie Smartphone, Tablet, Spielkonsole und TV auch seien, müsse man "mit diesen Dingen auch maßvoll umgehen, denn die Dosis macht bekanntlich das Gift! Ein wesentliches Zeichen einer Sucht ist, wenn etwas weiterhin konsumiert wird, obwohl man bereits Risiken eingeht oder sich schädigt. Und so ist das auch mit den digitalen Medien."

Interagieren junge Menschen viele Stunden täglich mit den Geräten, zeigt sich dies laut Eberle "häufig in den anderen Lebensbereichen, in die zunehmend weniger Energie fließt. Die Schulleistungen werden schlechter, Freundschaften werden nicht mehr gepflegt oder Sport wird vernachlässigt."

Die Inhalte sind ebenfalls wichtig

Neben der Nutzungszeit seien aber auch die Inhalte von Videospielen bedeutend. "Man begibt sich über die Medien in Welten, die die Persönlichkeitsentwicklung junger Menschen beeinflussen", erklärt der Erziehungswissenschaftler. "Gerade bei Computergames, oftmals eher eine Wirklichkeitssimulation als ein Spiel, kann man vieles ausprobieren, allerdings findet dabei auch immer ein Lernen statt, und neue Denk- und Verhaltensoptionen werden eingeübt." Er halte es für wichtig, dass Eltern dabei ein Auge auf ihre Kinder haben und auch mitbekommen, welche Medien diese konsumieren.

Zwar gehöre Mediennutzung zum Alltag, es sei aber "sehr wichtig, dass die Eltern Einfluss auf den Konsum der Medieninhalte nehmen. Die Spiele sollten passend zum Alter und zum Entwicklungsstand des Heranwachsenden sein. Nach einiger Zeit, beispielsweise einer Stunde, muss dann dringend wieder eine Medienpause stattfinden, damit man sich selbst wieder spürt und auch die Gemeinschaft, in der man lebt."

In ihrem Kern sei "die Mediensucht eine Bindungs- und Beziehungsstörung". Betroffene seien "nicht mehr wirklich mit der realen Welt in Beziehung, wissen zunehmend weniger, wie man hier schöne Erlebnisse haben kann und benötigen somit die virtuellen Glücksbringer, um ihren Alltag durchzustehen." Darum sollten Eltern unter anderem darauf achten, "dass in Gemeinschaft genügend schöne Erlebnisse miteinander geschaffen werden und für genügend Abwechslung gesorgt ist."