78614:

Keine gütliche Einigung in Münchner Schadensersatzprozess um Staudammbruch

Mindestens 270 Menschen starben 2019 bei Unglück in brasilianischem Brumadinho

Im Zivilprozess gegen den TÜV Süd wegen eines Staudammbruchs in der brasilianischen Gemeinde Brumadinho ist keine schnelle Entscheidung über Schadensersatzzahlungen zu erwarten. Die Vorsitzende Richterin Ingrid Henn sagte am Dienstag am Landgericht München I nach einem ersten Austausch der Positionen: "Eine gütliche Einigung kommt nicht zustande." Die Vertreter des TÜV Süd bestritten eine Verantwortung für den Dammbruch.

Bei dem Staudammbruch in der brasilianischen Gemeinde Brumadinho kamen Anfang 2019 mindestens 270 Menschen ums Leben. In dem Verfahren werfen die Gemeinde Brumadinho und Angehörige einer getöteten Ingenieurin dem TÜV vor, über eine Tochtergesellschaft den Damm überprüft und zertifiziert zu haben, obwohl er nicht ausreichend sicher gewesen sei.

Die Kläger, darunter der Witwer der Ingenieurin, deren Eltern, zwei Brüder und die Gemeinde, verlangen vom TÜV Süd zwischen rund zehntausend Euro und rund 70.000 Euro. Außerdem verlangen sie auch eine Feststellung der finanziellen Verantwortung des Konzerns für künftige Schäden.

Dem TÜV Süd droht aber im Fall einer Verurteilung eine deutlich höhere Zahlung. So sprach der deutsche Anwalt der zu dem Verfahren nach München gereisten brasilianischen Kläger, Jan Erik Spangenberg, von 1200 Angehörigen, die Ansprüche stellen könnten.

Der Bruch des Staudamms an einem Rückhaltebecken der Vale-Eisenerzmine hatte eine giftige Schlammlawine ins Rollen gebracht. Neben hohen Totenzahlen führte dies auch zu einer Naturkatastrophe in der Region.

Der Konzern Vale erklärte sich in diesem Jahr zur Zahlung von 5,8 Milliarden Euro zur Beseitigung der sozialen und ökologischen Folgen des Dammbruchs bereit. 1,4 Milliarden Euro davon waren direkt für Betroffene vorgesehen. Die Kläger werfen Vale aber vor, Zahlungen hinauszuzögern. Es stehe ein jahrelanger Rechtsstreit bevor.

TÜV-Chefjustiziar Florian Stork sagte, der Konzern spreche den Angehörigen sein Beileid aus. Gleichwohl sei der Konzern überzeugt, keine Verantwortung für den Tod der Betroffenen zu tragen. Ein Anwalt des Konzerns sagte, nach Auffassung des TÜV sei die Stabilitätserklärung für den Staudamm in Ordnung gewesen. Schon deshalb komme keine Haftung in Frage. Ursache für den Dammbruch seien wohl Sprengarbeiten gewesen, dies erscheine plausibel.

Außerdem wolle der Betreiber Vale die Betroffenen entschädigen - eine Einigung würde also zu einer doppelten Entschädigung führen. Auch die Gemeinde erhalte "gigantische Summen" als Ausgleich der entstandenen Schäden, erklärte der TÜV-Vertreter weiter.

Der Bruder der getöteten Ingenieurin, Gustavo Barroso, sagte in dem Verfahren, niemand könne ihm seine Schwester zurückbringen. "Ich bin sehr, sehr traurig und immer noch empört, dass der TÜV sich immer noch weigert, die volle Verantwortung zu übernehmen - dieser Staudamm, der war nicht sicher." Eigentlich wolle er nicht kämpfen, weil er so betrübt sei über den Tod der Schwester. "Aber ich will Gerechtigkeit - jeder Mensch muss seine Verantwortung übernehmen."

Der Bürgermeister von Brumadinho, Avimar Barcelos, sagte, "die Gemeinde Brumadinho leidet noch heute in wirtschaftlicher Art, in sozialer Art und ökologischer Art." Er forderte die Verantwortlichen des TÜV auf, nach Brasilien zu kommen, und sich die Lage vor Ort anzuschauen.

Der aus Kupferrückständen bestehende Schlamm sei noch immer im Ort, und die Gemeinde wisse nicht, wie lange die gesundheitlichen Folgen nachwirkten. "Der TÜV Süd flieht immer noch vor seiner eigenen schweren Verantwortung und hilft uns nicht dabei, unsere kleine Gemeinde wieder aufzubauen", sagte der Bürgermeister.

by Von Ralf ISERMANN