In der Schlussphase der Post-Brexit-Verhandlungen ist trotz der immer knapper werdenden Zeit weiter keine Einigung auf einen Handelspakt in Sicht. EU-Verhandlungsführer Michel Barnier sah am Montag noch immer große Differenzen in drei zentralen Bereichen. London schloss eine Wiederaufnahme der Gespräche im kommenden Jahr im Falle eines Scheiterns der aktuellen Verhandlungen kategorisch aus - signalisierte aber Kompromissbereitschaft mit Blick auf sein umstrittenes Binnenmarktgesetz.
Barnier informierte am Morgen die Botschafter der 27 EU-Mitgliedstaaten und Vertreter des Europaparlaments über den Stand der Verhandlungen. Nach Angaben von Teilnehmern gibt es weiter keinen Durchbruch in den drei Bereichen faire Wettbewerbsbedingungen, Kontrolle eines künftigen Abkommens und Fangrechte für EU-Fischer in britischen Gewässern.
Irlands Regierungschef Micheal Martin sagte, die Chancen für eine Einigung stünden "fünfzig-fünfzig". EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Premierminister Boris Johnson wollen am Montagabend entscheiden, ob eine Fortsetzung der Gespräche noch sinnvoll ist.
"Die Zeit läuft schnell ab", warnte ein EU-Diplomat. Die EU sei bereit, "noch einen Schritt weiter zu gehen", um "ein faires, nachhaltiges und ausgewogenes Abkommen" zu vereinbaren. Es liege nun an Großbritannien, ob es einen Deal oder einen No-Deal wolle. "Dies werden entscheidende Stunden", sagte ein weiterer Diplomat.
Die französische EU-Abgeordnete Nathalie Loiseau sagte nach der Information durch Barnier, der EU-Verhandlungsführer glaube, dass spätestens am Mittwoch eine Entscheidung getroffen werden müsse - dies wäre ein Tag vor dem Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel. Die Liberale betonte, schon jetzt könne das EU-Parlament die Ratifizierung des voraussichtlich über 700 Seiten starken Abkommens bestenfalls noch "in den allerletzten Dezembertagen" abschließen.
Ein Sprecher von Großbritanniens Premierminister Boris Johnson sagte, seine Regierung sei "bereit, so lange zu verhandeln, wie die Zeit reicht, wenn wir denken, ein Abkommen ist noch möglich". Mit Blick auf eine Verlängerung der Gespräche ins nächste Jahr hinein betonte er aber: "Ich kann das ausschließen." Sollte die EU in den drei zentralen Streitfragen nicht nachgeben, sei es aus Johnsons Sicht "nicht möglich, ein Abkommen zu erreichen".
Kompromissbereit zeigte sich die britische Regierung derweil mit Blick auf ihr von der EU scharf kritisiertes Binnenmarktgesetz. Sie sei unter bestimmten Bedingungen bereit, Klauseln aus dem Gesetz zu streichen, die Teile des EU-Austrittsvertrags außer Kraft setzen könnten, teilte die Regierung mit. Die Ankündigung Londons, das Gesetz zu überarbeiten, könnte den Unterhändlern in Brüssel nun wichtige zusätzliche Zeit geben.
Großbritannien war zum 1. Februar aus der EU ausgetreten. Bis Jahresende bleibt es aber noch im EU-Binnenmarkt und in der Zollunion. Diese Übergangsphase wollten beide Seiten eigentlich nutzen, um ein Handelsabkommen auszuhandeln. Die Gespräche kommen aber seit Monaten kaum voran. Inzwischen ist die Zeit für eine rechtzeitige Ratifizierung eines möglichen Abkommens bis zum 1. Januar schon äußerst knapp.
Ohne Einigung würden im beiderseitigen Handel zum Jahreswechsel Zölle erhoben. Wirtschaftsverbände rechnen dann nicht nur mit massiven Staus an den Grenzen im Lieferverkehr, sondern auch mit Milliarden an Mehrkosten und Einnahmeausfällen.
Frankreichs Europastaatsekretär Clément Beaune hatte am Sonntag die Veto-Drohung seines Landes bekräftigt, falls ein Abkommen insbesondere bei der Fischerei nicht französischen Interessen entspreche. Diese Frage ist auch für weitere EU-Länder wie Dänemark und Spanien besonders wichtig - obgleich die Fischerei im Vergleich zu anderen Bereichen eher einen geringen Anteil an der Gesamtwirtschaft hat.
by Von Martin TRAUTH