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Katja Riemann: “Ich habe einfach nicht mehr losgelassen”

Interview über Projektreisen

Katja Riemann (56) ist seit 20 Jahren in der Welt unterwegs, abseits der Schauspielerei. In “Jeder hat. Niemand darf.” (S. Fischer) erzählt sie von den vielen Projektreisen, die sie unternommen hat. “Was ich versucht habe, ist, in gewisser Weise vorstellbar zu machen, wie humanitäre Arbeit im Feld, also vor Ort aussieht”, erklärt sie. “Das Buch hat zehn Kapitel, zehn Länder, zehn Themen. Es ist ganz konkret, ich erzähle von der täglichen Arbeit, breche die Zahlen, die man aus den Nachrichten kennt runter, von der Millionen-Zahl, unter der die Menschen anonym bleiben, auf einzelne Geschichten, an denen man, wenn man will, Anteil nehmen kann und die vielleicht repräsentativ wirken.”

Weiter sagt Riemann, sie habe versucht, “niemals die Augenhöhe oder den Humor zu verlieren, daher würde es mich sehr freuen, wenn die Lesenden manchmal lachen. Es ist nicht nur erlaubt, es ist gewünscht, auch wenn man das auf den ersten Blick vielleicht nicht mit humanitärer Arbeit zusammenbringen mag, die Themen und den Humor. Aber da geht’s schon los: Es passt zusammen!” Und Riemann fügt hinzu: “Menschenrechtliche Arbeit beginnt meines Erachtens immer mit einem Gedanken oder einem Bewusstsein. Wenn mein Buch hier einen Anteil leisten könnte, wäre das top.”

Und was war der Auslöser für ihr Engagement für andere? “Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich ‘für andere Menschen engagiere’, das sagt sich immer so schnell, das sagt man eben so, und ich weiß manchmal gar nicht mehr, was es bedeutet, weil es so oft gesagt wurde.” Sei dies “nicht nur die Bezeichnung, das Label quasi?”, fragt Riemann: “Ich kann garantiert sagen, richtig interessant wird es, wenn man die Box, auf die das Label geklebt wurde, öffnet und schaut, was drinnen ist, was so abgeht in den Projekten menschenrechtlicher Arbeit. Und was da für Leute sind, woher sie kommen, was sie sich alles ausdenken, womit sie zu tun haben und was sie für Charaktere sind.”

“Der Auslöser war ganz simpel”, erzählt sie. “Ich bekam 1999 einen Anruf von Unicef Deutschland und wurde gefragt, ob ich ein senegalesisches Projekt anlässlich einer TV-Show vorstellen würde, gemeinsam mit der Gründerin der Nichtregierungsorganisation. Das Thema war Mädchenbeschneidung. Ich habe zugesagt. Ich schreibe darüber auch ausführlich im Buch. So lernte ich Molly Melching kennen, mit der ich bis heute befreundet bin. So begann es, unspektakulär. Ich habe nur einfach nicht mehr losgelassen, das ist möglicherweise das Verwunderliche.”

Die Veränderung durch die menschenrechtliche Arbeit, die sie bezeugen durfte sei letztlich viel abwechslungsreicher als ihre persönliche, so Riemann und sagt dann: “Ich glaube, ich bin durch diese Reisen und die viele Beschäftigung mit den Inhalten und Projekten, speziell während des Schreibens in den letzten drei Jahren, schon genauer geworden im Hingucken, im Wissenwollen, ich versuche Bezüge herzustellen, zu begreifen, wie welche Situationen oder Verhaltensweisen entstehen.”

Zudem meint Riemann: “Ich mag nicht mehr so schnell mitschreien im Chor der Empörungskultur, der Voreingenommenheiten und Vorwürflichkeiten, dort wo man ganz schnell weiß, wie es geht, wo es die Meinungen, Vorverurteilungen und Klassen gibt. Da bin ich raus, das ist zu einfach, abgesehen, dass es mir da zu rau und respektlos zugeht. Das habe ich sicherlich von den Humanitarians gelernt: Sie sind freundlich, respektvoll, vorsichtig, humorvoll und wollen etwas wissen und verstehen. Sie arbeiten mit den Menschenrechten, da steht alles drin.”

Auf ihren Reisen haben Riemann viele Erlebnisse berührt: “Tatsächlich am meisten die glücklichen Umstände, dort, wo es so eine Art Happy-Outcome gab, vom Happy-End kann man hier nicht sprechen. Andererseits habe ich mit Dr. Mukwege, dem ich im Jahr 2006 begegnete und der 2018 den Friedensnobelpreis gewann, einen ganzen Nachmittag verbracht und wir sprachen über Vergewaltigung als Kriegsinstrument; mich hat, ebenfalls im Kongo, der Besuch eines Männergefängnisses, in dem sieben Kinder eingesperrt waren, berührt; oder in Ouagadougou die Verteilung von Tricyclettes an Menschen, deren Beine nicht mehr gehen, und ebenfalls dort der Besuch eines offenen Steinbruchs, in dem eben auch Kinder zu finden waren.”

“Mich hat berührt”, fährt sie fort, “dass senegalesische und nepalesische Mädchen Theater spielen, um einen Kanal zu finden für das Unaussprechliche, das ihnen widerfuhr. Ich habe emotional verstanden, warum mein Vater im Libanon leben wollte, als ich den Libanon besuchte, um dort über die syrischen Geflüchtetenlager zu lernen. Mich hat Alex berührt, der das IS-Gefängnis in Libyen überlebte und sich in Berlin als Geflüchteter um Obdachlose kümmert und mich hat die Gründerin des burundischen Maison Shalom, Marguerite Birankitse berührt, die nicht aufgibt. Mich haben die Gespräche mit getraffickten Mädchen in Moldawien berührt und der Besuch einer Ceausescu-Institution in Negru Voda, Rumänien, in der ich sah, was nicht sein darf. Ich bin gespannt, was meine Leser und Leserinnen berühren wird und worüber sie lachen oder sich freuen.”

Und wohin führen Riemanns nächste Reisen? “Ich werde wohl eine Reise mit einer Amerikanerin nach Venezuela machen”, verrät sie, “wir suchen gerade einen Termin. Und ich möchte die Arbeit von Karo e.V. vor Ort kennen lernen”. Zudem plane sie einen längeren Trip nach Ostafrika, Kenia, “zu meinem guten Freund Johannes Wedenig, über den ich viel in meinem Buch schreibe”.

Über ihre weiteren Projekte sagt sie, sie drehe dieses Jahr “einen kommerziellen und einen Arthouse-Film – falls letzterer finanziert wird”. Über beides freue sie sich sehr. “Und ich spiele am Gorki Theater in Berlin wieder Theater in einem Stück meiner klugen Freundin Sibylle Berg.”

(hub/spot)

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