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Kanzleramtsminister Braun bringt Einschränkungen für Nicht-Geimpfte ins Spiel

Heftige Kritik von mehreren Parteien - Corona-Inzidenz weiter gestiegen

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) hat Einschränkungen für Nicht-Geimpfte ins Spiel gebracht und damit Kritik und Skepsis ausgelöst - auch in der eigenen Partei. "Geimpfte werden definitiv mehr Freiheiten haben als Ungeimpfte", sagte Braun der "Bild am Sonntag". Bei hohem Infektionsgeschehen trotz Testkonzepten müssten Ungeimpfte ihre Kontakte reduzieren. Die FDP sprach von einem "klar verfassungswidrigen" Vorstoß, auch Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) reagierte ablehnend. Die Inzidenz stieg unterdessen weiter an.

Das Reduzieren der Kontakte für Ungeimpfte könne auch bedeuten, "dass gewisse Angebote wie Restaurant-, Kino- und Stadionbesuche selbst für getestete Ungeimpfte nicht mehr möglich wären, weil das Restrisiko zu hoch ist", sagte Braun der "BamS". Der Staat habe die Pflicht, die Gesundheit seiner Bürger zu schützen - "und dazu gehört auch der Schutz derjenigen, die ungeimpft sind". Braun befürchtet dem Bericht zufolge ein Ansteigen der Inzidenz bis zur Bundestagswahl im September auf 850 und damit 100.000 Neuinfektionen täglich.

Laschet sagte zu Brauns Vorstoß, bisher gelte das Prinzip "getestet, genesen oder geimpft" für Erleichterungen. "Dieses Prinzip ist gut", fuhr er im ZDF-Sommerinterview fort, das am Sonntagabend ausgestrahlt werden sollte. Brauns Vorschlag müsse zwar erörtert werden, sagte Laschet, gleichzeitig schränkte er aber ein: "Ich finde am Ende, Freiheitsrechte müssen für alle gelten, wenn man keine Impfpflicht will." Er halte nichts von einer Pflicht - stattdessen müsse alles daran gesetzt werden, die Menschen von einer Impfung zu überzeugen.

FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki kritisierte Brauns Vorstoß als "Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür". Zudem sei eine solche "Kategorisierung von Grundrechten in eine erste und eine zweite Klasse klar verfassungswidrig", sagte er den Funke Zeitungen. Die Wahrnehmung der Grundrechte könne nicht dauerhaft von einem Wohlverhalten abhängig gemacht werden, das vom Kanzleramt als richtig definiert werde.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich verwies auf "hohe verfassungsrechtliche Hürden" bei der Ungleichbehandlung von Geimpften und Getesteten. "Ich bin überrascht, dass das Kanzleramt bereits jetzt mit neuen Vorschlägen um die Ecke kommt", sagte Mützenich den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) vom Montag. "Wir müssen uns gegenwärtig auf die noch große Zahl der Impfwilligen konzentrieren, die sich noch nicht impfen lassen konnten", sagte er. "Mit Drohungen werden wir auf der anderen Seite das Impfverhalten einzelner nicht nachhaltig verändern."

Auch von der Linkspartei kam Kritik: "Es muss Schluss sein mit wöchentlich neuen Ankündigungen aus dem Kanzleramt", sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch den Funke Zeitungen. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel sprach von einer Spaltung der "Gesellschaft in Bürger erster und zweiter Klasse" sowie von "systematischer Diskriminierung".

Die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz bei den Corona-Neuinfektionen stieg unterdessen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts weiter an und lag zuletzt bei 13,8. Das Institut meldete zudem am Sonntagmorgen 1387 Corona-Neuinfektionen.

Die gestiegenen Zahlen lösten zudem erneut eine Diskussion über zusätzliche Parameter abseits von Inzidenzen und Fallzahlen aus. Die Inzidenz sage heute "viel weniger über die Gefahr einer Erkrankung und die mögliche Belastung des Gesundheitssystems aus als noch vor einem halben Jahr, weil immer mehr Menschen geimpft werden", sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) der "Rheinischen Post". Die Inzidenz bleibe wichtig, müsse aber mit der Lage in den Krankenhäusern verknüpft werden.

Ähnlich äußerte sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). Entscheidend sei nun vor allem die Situation an den Schulen - diese müssten "fit für das neue Schuljahr" werden.

by THOMAS KIENZLE