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Kanadas Wahlsieger Trudeau verpasst angestrebte stabile Mehrheit

Liberaler Premierminister für dritte Amtszeit wiedergewählt

Kanadas Premierminister Justin Trudeau hat bei der vorgezogenen Parlamentswahl einen halben Sieg errungen: Vorläufigen Wahlergebnissen vom Dienstagmorgen zufolge gingen seine Liberalen zwar als Sieger aus der Wahl hervor, ihnen fehlt jedoch wie zuvor eine stabile Mehrheit. Die Regierungspartei kommt demnach auf 158 der 338 Sitze im Parlament. Trudeau sprach dennoch von einen "klaren Mandat", um Kanada durch die Corona-Pandemie zu führen.

Die konservative Tory-Partei, die in Umfragen zuvor fast gleichauf mit den Liberalen gelegen hatte, kam den vorläufigen Ergebnissen zufolge auf 119 Sitze. Drittstärkste Kraft mit 34 Abgeordneten wird voraussichtlich der Bloc Québécois, der für die Unabhängigkeit der französischsprachigen Provinz Kanadas eintritt. Die sozialdemokratische NDP kommt auf 25 Sitze, die Grünen erhalten zwei.

Trudeau hatte Mitte August in der Hoffnung auf eine stabile Mehrheit vorgezogene Neuwahlen ausgerufen, nachdem er seit seiner ersten Wiederwahl 2019 nur noch einer Minderheitsregierung vorstand. Der 49-Jährige war bei seinem ersten Wahlsieg 2015 noch als Erneuerer gefeiert worden. Nicht zuletzt wegen einer Reihe politischer Affären seiner Regierung verlor er aber deutlich an Rückhalt in der Bevölkerung.

Dank großzügiger Hilfszahlungen, einer schnellen und erfolgreichen Impfkampagne und eines allgemein positiv bewerteten Agierens der Behörden in der Corona-Pandemie hatten sich die Zustimmungswerte dann wieder gebessert. Trudeau witterte seine Chance und rief Neuwahlen aus.

Dieses Manöver gefiel nicht allen. Der 71-jährige Douglas O'Hara, der in Trudeaus Wahlbezirk Papineau in Montreal seine Stimme abgab, zeigte sich "sehr enttäuscht". Trudeau habe bei der Bewältigung der Pandemie zwar eine "halbwegs gute Arbeit geleistet". Aber er hätte auch versprochen, während der Pandemie keine Wahl abzuhalten, sagte der Rentner.

Trudeaus Kalkül ging jedenfalls nicht auf. Unter anderem ein plötzlicher Anstieg der Corona-Fälle wegen der Delta-Variante und nachdem die meisten Einschränkungen aufgehoben worden waren, wirkte sich negativ aus. Die angestrebte wichtige Schwelle von 170 Sitzen im Parlament verfehlten die Liberalen nach bisherigen Angaben deutlich.

Die Wähler "schicken uns zurück an die Arbeit mit dem klaren Auftrag", sagte der Premier dennoch nach der Wahl. Er sei bereit, Kanada durch diese Pandemie zu führen. Dabei wird er aber wohl weiterhin auf die Zusammenarbeit mit anderen Parteien wie der NDP oder dem Bloc Québecois angewiesen sein.

Der Wahlkampf habe insgesamt wenig polarisiert, sagte Max Cameron, Professor an der Universität von British Columbia, vor der Wahl. "Es gibt tatsächlich eine Menge Konsens in der Mitte." Am Ende habe sich tatsächlich nicht viel geändert, kommentiert Felix Mathieu von der Universität Winnipeg: In vielen Provinzen seien die Abgeordneten "systematisch wiedergewählt worden".

Der konservative Spitzenkandidat Erin O'Toole gestand am Wahlabend seine Niederlage ein. "Aber heute Nacht haben die Kanadier Herrn Trudeau nicht das Mehrheitsmandat verliehen, das er wollte", fügte er hinzu. Nach einer Wahl, die Kosten von 600 Millionen Dollar verursacht habe, bekomme Kanada nun erneut eine Minderheitsregierung. Der NDP-Vorsitzende, Jagmeet Singh, gratulierte Trudeau und kündigte an, sich weiterhin für den Klimawandel und soziale Themen einzusetzen.

by Andrej Ivanov