97321:

Johnson und Biden demonstrieren bei Treffen in Carbis Bay Einigkeit

Nordirland-Frage überschattet bilaterales Treffen vor G7-Gipfel

Demonstrative Einigkeit trotz Meinungsverschiedenheiten: Bei einem Treffen im südenglischen Carbis Bay haben Großbritanniens Premierminister Boris Johnson und US-Präsident Joe Biden sich bei bester Laune gezeigt und Komplimente ausgetauscht. Zu den heiklen Themen in den US-britischen Beziehungen zählt die Nordirland-Frage im Post-Brexit-Streit zwischen London und Brüssel. Biden hält sich zu seiner ersten Auslandsreise in Europa auf. Dabei wird er einen diplomatischen Marathon mit einer Serie von Gipfeltreffen absolvieren.

Mit einem breiten Lächeln begrüßte Johnson seinen Gast aus den USA. "Alle freuen sich wahnsinnig, Sie hier zu sehen", sagte der Premier. Biden gratulierte seinerseits Johnson zu dessen kürzlicher Hochzeit mit seiner Verlobten Carrie. "Wir haben beide über unserem Niveau geheiratet", scherzte der US-Präsident. Sein britischer Gesprächspartner antwortete: "Ich werde dem Präsidenten bei diesem Thema nicht widersprechen - und tatsächlich auch bei keinem anderen."

Bereits im Vorfeld des 90-minütigen Treffens war bekannt geworden, dass Biden und Johnson eine Neuauflage der Atlantik-Charta von 1941 beschließen wollen. Die vor 80 Jahren zwischen dem damaligen US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt und dem damaligen britischen Regierungschef Winston Churchill geschlossene Charta definierte die gemeinsamen internationalen Grundsätze Washingtons und Londons.

Aus Londoner Regierungskreisen hieß es, die neue Charta werde eine Vielzahl von Themen abdecken, von globaler Verteidigung und Sicherheit bis zum Wiederaufbau nach der Corona-Pandemie und dem Kampf gegen den Klimawandel.

Die Erneuerung der Atlantik-Charta ist ein wichtiger Erfolg für Johnson, der nach dem Brexit auf der Suche nach neuen internationalen Partnerschaften ist. Biden wollte vorab verbreiteten Informationen zufolge während seines Treffens mit Johnson die "besonderen Beziehungen" zwischen Großbritannien und den USA herausstreichen - den britischen Premierminister aber zugleich vor einer Gefährdung des Friedens in Nordirland warnen.

Wie die Zeitung "The Times" berichtete, hatte Biden die US-Diplomaten zuletzt angewiesen, der britischen Regierung die Sorgen Washingtons über die Lage in Nordirland zu übermitteln. Dem Bericht zufolge übte die Gesandte der US-Botschaft in London, Yael Lempert, in einem Gespräch mit dem britischen Brexit-Minister David Frost deutliche Kritik an der Weigerung Londons, Waren an der Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien zu kontrollieren. Damit befeuere das Vereinigte Königreich die "Spannungen in Irland und Europa", sagte Lempert demnach.

Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan betonte, der Präsident sei der "felsenfesten" Überzeugung, dass das Karfreitagsabkommen von 1998 geschützt werden müsse. Das Abkommen hatte drei Jahrzehnte der Gewalt in Nordirland beendet.

Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Donald Trump ist Biden, der selbst irische Wurzeln hat, kein Freund von Johnsons Brexit-Politik. Biden hatte Londons Bestreben, von seinen Verpflichtungen zu Nordirland im Rahmen des Brexit-Abkommens mit der EU abzurücken, wiederholt kritisiert und gewarnt, dass dies den Erfolg eines Handelsabkommens zwischen den USA und Großbritannien gefährden könnte.

Das sogenannte Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrags soll sicherstellen, dass zwischen der britischen Provinz und dem EU-Mitglied Irland keine Zollkontrollen stattfinden. Denn diese könnten nach Einschätzung beider Seiten zu einem Wiederaufflammen des blutigen Nordirland-Konflikts führen. Die Kontrollen sollen deshalb zwischen Großbritannien und Nordirland stattfinden.

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte am Donnerstag angekündigt, das Thema am Rande des am Freitag beginnenden G7-Gipfels ansprechen zu wollen. Das Nordirland-Protokoll sei "die einzige Lösung", um eine "harte Grenze" zwischen der britischen Provinz und Irland zu verhindern und den Frieden zu erhalten, betonte sie.

Biden war am Mittwochabend in Großbritannien gelandet, ab Freitag nimmt er am dreitägigen G7-Gipfel in Carbis Bay teil. Bevor der US-Präsident weiter nach Brüssel zum Nato-Gipfel am Montag reist, empfängt ihn Queen Elizabeth II. auf Schloss Windsor. Am Dienstag folgt ein EU-USA-Gipfel, am Mittwoch tritt Biden dann in Genf auf seinen russischen Kollegen Wladimir Putin.

by Von Jerome CARTILLIER