Großbritannien und die EU vollziehen in der Nacht zum Freitag endgültig ihre Scheidung: Elf Monate nach dem EU-Austritt verlässt das Vereinigte Königreich um Mitternacht (MEZ) den EU-Binnenmarkt und die Zollunion. Der britische Premierminister Boris Johnson sprach von einem "großartigen Moment" für sein Land. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron betonte, Großbritannien bleibe auch künftig "unser Freund und Verbündeter".
Wenige Stunden vor dem endgültigen Vollzug des Brexit wurden am Donnerstag die letzte Stolpersteine aus dem Weg geräumt. Die Regierungen in London und Madrid erzielten eine Grundsatzeinigung über die künftigen Regeln für Gibraltar. Für die britische Exklave sollen künftig die Bestimmungen des Schengen-Abkommens gelten.
Die Regeln für den Grenzverkehr für die britische Exklave Gibraltar im Süden Spaniens waren bis zuletzt umstritten. Indem nun die Regeln des Schengen-Raums gelten sollen, sind Grenzübertritte ohne Passkontrolle weiterhin möglich. Ohne die Einigung wäre die Grenze zwischen Gibraltar und Spanien ab Freitag zu einer "harten Grenze" zwischen Großbritannien und der EU geworden.
Indessen veröffentlichte die EU das vor einer Woche mit Großbritannien vereinbarte Handelsabkommen in ihrem Amtsblatt. Das Abkommen, das zahlreiche Handels- und Zollfragen regelt, kann damit wie geplant zum Jahreswechsel vorläufig in Kraft treten. Ohne den Deal hätten nach dem Ende der Post-Brexit-Übergangsperiode ab Freitag Lieferprobleme und lange Staus an den Grenzen gedroht.
Für einen regulären Ratifizierungsprozess reichte die Zeit bis zum Jahresende aber nicht mehr aus. Daher sollen die vereinbarten Regeln nun zunächst mindestens bis zum 28. Februar übergangsweise angewandt werden.
Bei den Brexit-Hardlinern im Königreich stieg unmittelbar vor dem Austritt aus dem EU-Binnenmarkt die Vorfreude. "Dies ist ein großartiger Moment für dieses Land", sagte Johnson in seiner Neujahrsansprache. "Wir halten unsere Freiheit in unseren Händen und es liegt an uns, das Beste daraus zu machen". Großbritannien werde künftig ein "offenes, großzügiges" und international ausgerichtetes Land sein, das sich dem freien Handel verpflichte.
Das Vereinigte Königreich könne die Dinge künftig "anders - und wenn nötig besser - als unsere Freunde in der EU handhaben", sagte Johnson. Das Land könne "Handelsabkommen rund um die Welt" abschließen und sich zu einer "wissenschaftlichen Supermacht" entwickeln.
Auch in den als Brexit-Unterstützer geltenden Medien wurde am Donnerstag gejubelt: Die "Daily Mail" sagte einen "Neubeginn" für das Königreich voraus, der "Daily Express" erwartete die "tollste Stunde" in der Geschichte des Landes.
Der Glockenschlag von Big Ben in London um 23.00 Uhr (24.00 Uhr MEZ) werde ein neues Kapitel aufschlagen, fassten beide Zeitungen die Hoffnung der Brexit-Anhänger zusammen. Allerdings werden der Brexit und sein endgültiger Vollzug auch im Handel von vielen Briten inzwischen äußerst kritisch gesehen.
Auch in der EU fand Johnsons Euphorie keinen Widerhall. Frankreichs Präsident Macron nannte den Brexit in seiner Neujahrsansprache das Ergebnis "vieler Lügen und falscher Versprechen". Dennoch werde Großbritannien "unser Freund und Verbündeter" bleiben.
Auch der EU-Chefunterhändler Michel Barnier äußerte sich skeptisch. "Niemand konnte mit den Mehrwert des Brexit aufzeigen, nicht einmal Herr Farage", sagte Barnier dem Radiosender RTL mit Blick auf den Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage. "Es ist eine Scheidung, man kann eine Scheidung nicht feiern."
Großbritannien war zum 1. Februar als erstes Land in der Geschichte der europäischen Staatengemeinschaft aus der EU ausgetreten. Damals feierten die "Brexiteers" den EU-Austritt auf den Straßen, während die Gegner des Brexit Mahnwachen abhielten und Kerzen anzündeten. In diesem Jahr sind wegen der Corona-Pandemie keine öffentlichen Veranstaltungen geplant.
by Von Phil HAZLEWOOD