"Wir befinden uns im Kampf um die Seele Amerikas. Die Zeit ist gekommen, uns daran zu erinnern, wer wir sind." Mit diesen Worten begann der Absatz "Joe's Vision" auf der offiziellen Webseite von Joe Biden (77). Damit bewies der designierte 46. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika im Wahlkampf ein Bewusstsein dafür, was 2020 auf dem Spiel stand, und die Bereitschaft, in den "Kampf" zu ziehen - gegen die Folgen der Corona-Pandemie, die Spaltung der Bevölkerung und Donald Trump (74). Wer ist der Mann, der als Vizepräsident an der Seite von Barack Obama (59) über die Grenzen Amerikas hinweg bekannt wurde?
Wenn nun alles wie geplant abläuft, wird Joseph Robinette Biden Jr. bei seiner "Inauguration" im Januar 2021 mit 78 Jahren der älteste US-Präsident sein, der jemals für eine erste Amtszeit vereidigt wurde. Er kam noch zu Zeiten des Zweiten Weltkriegs, am 20. November 1942, in Pennsylvania zur Welt. Seine Vorfahren stammten überwiegend aus Irland. Nach dem Schulabschluss studierte der Sohn eines Autoverkäufers die Fächer Geschichte und Politikwissenschaft, bevor er 1968 an der privaten Syracuse University den Titel "Juris Doctor" erlangte und einen Karriereweg als Anwalt einschlug.
Schon früh musste der erst 29-jährige Joe Biden mit einem schweren Schicksalsschlag fertig werden. Sechs Jahre nach der Hochzeit mit seiner Jugendliebe Neilia Hunter im Jahr 1966 starben sie und die gemeinsame einjährige Tochter Naomi Christina 1972 bei einem schweren Autounfall. Die beiden Söhne des Paares, Joseph "Beau" Robinette III. und Robert Hunter, überlebten das Unglück damals.
Drei Jahre nach dem schweren Verlust verliebte sich Biden erneut - in die damalige Studentin Jill Tracy Jacobs. 1977 heiratete er die Englischlehrerin, die heute zwei Masterabschlüsse und einen Doktortitel hat. Gekrönt wurde das private Glück von Joe und Jill Biden mit der Geburt von Tochter Ashley im Jahr 1981.
Im selben Jahr, in dem das Schicksal Joe Biden seine erste Frau und seine Tochter nahm, legte die politische Karriere des leidenschaftlichen Bahn-Pendlers an Fahrt zu. Als einer der jüngsten Politiker in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurde Biden 1972 als Vertreter des Staates Delaware in den Senat gewählt und in den Folgejahren insgesamt fünfmal wiedergewählt. Seinen Eid legte er am Krankenbett seiner Söhne ab. Das Amt bekleidete der Jurist 36 Jahre lang, von 1973 bis 2009 - dem Jahr, in dem er neben US-Präsident Barack Obama Vizepräsident wurde.
Die Absicht, selbst ins Weiße Haus einzuziehen, hat Joe Biden bereits seit vielen Jahren. 1987 bewarb er sich um die Nachfolge von Ronald Reagan (1911-2004), stieg allerdings nach sechs Wochen aus dem Rennen aus, weil Plagiatsvorwürfe gegen ihn laut wurden. Der Stein des Anstoßes: Biden hatte die Rede eines britischen Politikers kopiert. Im Januar 2007 bewarb sich der damals 64-Jährige erneut um die Präsidentschaftskandidatur, stieg allerdings ein Jahr später aufgrund von enttäuschenden Ergebnissen bei der Vorwahl in Iowa freiwillig aus.
Joe Biden ist "jemand, dessen Vertrauen den größten Verlust überstanden hat, den es gibt". So beschreibt Barack Obama seinen ehemaligen "Running Mate" in einer Videobotschaft, mit der er Mitte April seine Unterstützung für Kandidat Biden bekundete. Mit diesem "größten Verlust" meint Obama den zweiten schlimmen Schicksalsschlag, den der 77-Jährige verkraften musste - den Tod seines ältesten Sohnes "Beau". 2015 starb der Jurist an einem bösartigen Hirntumor, woraufhin Joe Biden von einer erneuten Kandidatur für die Präsidentschaft absah und stattdessen 2016 Hillary Clinton (73, "Entscheidungen") unterstützte.
All die Verluste, die der ehemalige Senator und Familienvater bereits verkraften musste, haben ihn Barack Obama zufolge stärker gemacht - "stählern", wie er in seinem Video sagt. Letztlich konnten dem künftigen Präsidenten auch Anschuldigungen unangebrachten Verhaltens gegenüber Frauen nichts anhaben, die es seit dem vergangenen Jahr gibt. Der schlimmste Vorwurf: Biden soll Tara Reade, eine ehemalige Senatsangestellte, im Jahr 1993 sexuell attackiert haben. Der Politiker bestreitet die Vorwürfe.
Nach der Präsidentschaftswahl am vergangenen Dienstag (3. November) lieferte sich Joe Biden zunächst ein enges Kopf-an-Kopf-Rennen mit Amtsinhaber Donald Trump. Mit dem Voranschreiten der Auszählung zeichnete sich jedoch insbesondere durch die Stimmen der Briefwahl nach mehreren Tagen in den verbliebenen Bundesstaaten ein deutlicher Vorsprung für den Demokraten ab. Die Schwelle der für den Wahlsieg erforderlichen 270 Wahlmännerstimmen überschritt Biden am Samstag (8. November), als auch sein Heimatstaat Pennsylvania - einer der umkämpften "Swing States" - an ihn ging.