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Joachim Löw: Ein Leben für den Fußball

Bundestrainer feiert 60. Geburtstag

Nach dem Sommermärchen in Deutschland war sich der Deutsche Fußball-Bund 2006 einig: Unter seiner Führung dürfte die Nationalmannschaft in Zukunft die schwierigsten Gegner bezwingen. Joachim Löw hatte es schließlich drei Jahre zuvor selbst vorgemacht und es bis ganz nach oben an die Spitze geschafft. Sein Gegner damals: Das mit 5895 Höhenmetern höchste Bergmassiv Afrikas – der Kilimandscharo.

Löw bezeichnet die Expedition in einem Interview mit der Berliner Morgenpost 2016 als “interessantestes und erkenntnisreichstes Erlebnis überhaupt in meinem Leben.” Sie hat Löw gelehrt, niemals aufzugeben und auch nach Rückschlägen an sich selbst zu glauben: “Diese Grenzerfahrung hat mir gezeigt, dass es immer weiter geht, dass man immer noch einen Schritt nach vorne machen kann, selbst wenn man glaubt, dass es nicht mehr geht. Und wenn man das Ziel sieht, egal wie schwer es zu erreichen ist, dann dreht man nicht um!”

Gegenwind ist Löw vor allem in seiner Laufbahn als Trainer gewohnt. Bevor er es aber überhaupt in diese Position schafft, spielt Löw erstmal selbst auf dem Rasen auf. Verwurzelt ist er im tiefsten Südwesten, im badischen Schwarzwald, was man auch gleich aus seinem breiten Dialekt heraushört. 1960 kommt er in Schönau zur Welt. Nach der mittleren Reife absolviert er eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann. Parallel dazu schnürt Löw die Fußballschuhe für den örtlichen Fußballverein.

1978 gelingt ihm der Sprung zu den Profis des SC Freiburg, die gerade mit ihrer Mannschaft in die 2. Fußball-Bundesliga aufgestiegen sind. Räumlich gesehen bringt Löw kaum Varianz in seine Stationen als Spieler. Er wechselt oft innerhalb von Baden-Württemberg hin und her, läuft für den Karlsruher SC und den VfB Stuttgart auf und geht zwischendurch wieder nach Freiburg zurück. Gegen Ende seiner Spielerkarriere wagt er noch einmal den Sprung in die nahegelegene Schweiz und schließt sich dort bis 1995 drei verschiedenen Mannschaften an.

Anschließend kehrt er als Coach nach Deutschland zurück. Er steigt als Assistenz-Trainer beim VfB Stuttgart ein und wird bereits nach einem Jahr zum Chef an der Seitenlinie befördert. Mit dem Club gelingt ihm 1997 sein größter Erfolg als Vereinstrainer: Löw gewinnt den DFB-Pokal. Nach einem weiteren Jahr wechselt er in die Türkei zu Fenerbahce Istanbul. Bis 2003 folgt für Löw jährlich ein neues Engagement bei einem Team in der Türkei, Deutschland oder Österreich. Bei keinem seiner weiteren Vereine ist er so erfolgreich wie in Stuttgart.

Nach der desaströsen Europameisterschaft 2004, bei der Deutschland in der Gruppenhase ausgeschieden war, liegt der deutsche Fußball vor der anstehenden WM im eigenen Land brach. Rudi Völler (59) tritt als Trainer zurück. Die Verantwortlichen beim DFB verpflichten Jürgen Klinsmann (55) als neuen Chefcoach Der installiert in Kürze einen ganzen Stab an weiteren Trainern und Spezialisten. Sein wichtigster Fachmann dabei: Joachim Löw.

In den kommenden zwei Jahren ist Löw mehr als der Co-Trainer unter Klinsmann. Während ‘Klinsi’ der große Motivator ist, der mit seiner positiven und lockeren Art die Spieler in jedem Match heiß macht, ist Löw für die Spielweise zuständig. Löw ist Taktgeber, Stratege, er hat den inhaltlichen Masterplan im Kopf. Mit dieser Rollenverteilung holen die beiden mit der Nationalmannschaft den dritten Platz bei der Heim-WM und schreiben die Geschichte des Sommermärchens.

Klinsmann sieht seine Arbeit daraufhin als beendet an. Der DFB braucht wieder einen neuen Trainer – und befördert Löw. Nur logisch, dass man ihm fortan den Job in der ersten Reihe zutraut. Löw entwickelt die Mannschaft mit dem eingeschlagenen Weg – vermehrt auf die Jugend zu setzen – konsequent weiter.

Bereits beim nächsten Turnier, der EM 2008, erreicht Deutschland das Finale. Nur Spanien hindert die DFB-Elf am Titelgewinn. Mit zwei Halbfinalteilnahmen bei den darauffolgenden Endrunden ist man zufrieden. Aber die Sehnsucht nach einem Pokal in den Händen wächst und wächst. 2014 sollte es soweit sein.

Die WM in Brasilien steht von vornherein unter klimatisch schwierigeren Bedingungen. Doch das soll keine Ausrede für die deutsche Truppe sein. Löw formt im Verlauf des Turniers eine Mannschaft, die Gastgeber Brasilien im Halbfinale sensationell mit 7:1 nach Hause schickt. Im Finale schießt Mario Götze (27) das entscheidende 1:0 in der Verlängerung. Deutschland ist Fußballweltmeister – und Löw feiert den größten Triumph seiner Trainerkarriere.

Wie nach jedem großen Turnier nimmt sich Löw einige Wochen Zeit, um das Erlebte zu reflektieren. Dafür urlaubt er entweder weit weg entspannt am Strand, gönnt sich dabei auch mal eine Zigarette, oder er zieht sich in sein Haus in Freiburg oder in seine Berliner Wohnung zurück. Mit Fußball mag sich Löw, den viele bekanntermaßen ‘Jogi’ nennen, dann wenig beschäftigen. Er interessiert sich auch für das aktuelle Zeitgeschehen abseits des Rasens, wie er der Bild am Sonntag im Interview verriet: “Aktuell dreht sich in den Gesprächen auch viel um den Klimawandel oder den rasanten technologischen Fortschritt.”

Zudem geht er viel laufen und macht Kraftsport. Wohl auch deshalb fühlt er sich mit 60 noch fit, wie er der Bild am Sonntag sagte: “Ich achte schon seit Jahren sehr auf mich und habe durch den Sport eine gewisse Sensibilität entwickelt. Dennoch spürt er hier und da das Alter: “Mit zunehmendem Alter merke ich, dass der Körper etwas mehr zwickt und man nicht mehr alles so gut und schnell wie früher wegstecken kann.”

In der Öffentlichkeit tritt Löw als Mann mit Esprit auf. Er trägt gern taillierte Hemden oder Rollkragenpullover. Sein Schal hat auch schon eine gewisse Berühmtheit erlangt. Als Werbegesicht von Nivea achtet Löw auf sein Äußeres. Auch privat beweist er Stil. Nach rund 30 Jahren Ehe wird 2016 die Trennung von seiner Frau Daniela (57) bekannt. Löw verliert kein schlechtes Wort über sie. Das ehemalige Paar hat keine Kinder. 2010 hat Löw dafür die Patenschaft für einen Jungen und ein Mädchen aus Ghana übernommen.

Nach seiner Reflektion der Weltmeisterschaft in Brasilien kommt Löw zu der Erkenntnis, dass sein Weg bei der Nationalmannschaft noch nicht abgeschlossen ist. Er ist weiterhin titelhungrig. Doch bei all der Euphorie gibt es in den Jahren seiner Amtszeit auch immer wieder kritische Stimmen, vor allem vor dem Gewinn des WM-Titels. Einige Experten können viele seiner Personalentscheidungen nicht nachvollziehen. Löw verzichte zu Unrecht auf verschiedene Spieler, die ihre Leistung in den Vereinen konstant bringen, heißt es.

Wenn Löw einmal eine Entscheidung getroffen hat, zieht er sie in aller Regel mit voller Härte durch. Nachdem Kevin Kurany (37) während eines Spiels, bei dem er von Löw nicht berücksichtigt worden war, fluchtartig das Stadion verließ, gab es für ihn trotz Entschuldigung und guter Leistungen kein Weg mehr zurück in die DFB-Elf. Löw macht kein Halt vor großen Namen und scheut sich nicht vor unbequemen Entscheidungen. Das zeigt auch die Ausbootung von gestandenen Spielern wie Thomas Müller (30), Mats Hummels (31) und Jerome Boateng (31) nach der WM 2018 in Russland.

Dass Löw nach dem blamablen Vorrunden-Aus selbst nicht ausgebootet wird, verdankt er seinen Verdiensten rund um den deutschen Fußball. Einige Experten sagen, Löw klebe an seinem Stuhl. Einen Verein wird er wohl nicht mehr trainieren. Ein Rücktritt vom Amt des Bundestrainers kam für Löw aber nicht infrage. Er will den Ruf der deutschen Nationalmannschaft wiederherstellen – und seinen eigenen. Der Europameistertitel, den Löw in diesem Jahr gewinnen könnte, fehlt Löw noch. Und er will 2022 in Katar ein zweites Mal Weltmeister werden. Seine Titelmission ist noch nicht abgeschlossen. Auch wenn er dafür Berge bezwingen muss.

(ros/spot)

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