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Joachim Gauck: Der “Wanderprediger der Demokratie” wird 80

Die Stationen seines Lebens

Joachim Gauck war schon immer ein Mann des Wortes. Kein richtiger Politiker, dafür wirkt er zu unparteiisch und zu verbindlich. Gut, er war Bundespräsident, also im höchsten politischen Amt, das dieses Land zu vergeben hat. Und weil das Staatsoberhaupt, politisch gesehen, zu strikter, überparteilicher Neutralität verpflichtet ist, schien er als parteiloser Protagonist besonders geeignet zu sein. Der “FAZ”-Herausgeber Berthold Kohler hatte den wohl treffendsten Blick auf Joachim Gauck, der am heutigen Freitag 80 Jahre alt wird. Er sah und beschrieb ihn bei dem, “was er am liebsten und am besten tat: als Wanderprediger der Demokratie und der Freiheit durchs Land ziehen, mit einem Ruf wie Donnerhall”.

Und heute, rund zwei Jahre nach dem Ende seiner Präsidentschaft im März 2017? Wer die Gegenwart des Joachim Gauck verstehen möchte, muss die drei wichtigsten Stationen seines Lebens kennen: 31 Jahre war er Evangelisch-lutherischer Pastor in der DDR. Zu Zeiten der Wende engagierte er sich als wichtiges Mitglied der Bürgerbewegung Neues Forum, das die friedliche Revolution in der DDR mit einleitete. 1990 folgte er dem Ruf als erster Bundesbeauftragter für Stasi-Unterlagen. Zehn Jahre lang prägte er diese Institution so sehr, dass manche sie Gauck-Behörde nannten. Schließlich wurde er 2012 als elfter Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland gewählt.

In allen drei Ämtern gab Gauck den freischaffenden “Demokratielehrer”, wie er später einmal sagte, mit viel Pathos, auch mit rhetorischer Wärme, die in der Politik, ob in West oder Ost, seit Jahrzehnten vermisst wurde. Ein Seelsorger der Nation? Er liebte schon immer das ausdrucksstarke Wort, das auch dann noch spontan wirkte, wenn er vorher penibel daran gefeilt hatte. Schon in seinen Predigten als Rostocker Pastor wandte er sich gegen die DDR-Oberen in Staat und Partei und sprach von einem “Volk, das im Dunkeln wandelt”. Auf das SED-Gebot, man solle doch auf die Errungenschaften des Sozialismus stolz sein, antwortete Gauck in einem knappen Vers: “Dummheit und Stolz wachsen auf gleichem Holz.”

Unvergessen ist auch sein Spruch vom Kirchentag 1988, den Gauck leitete. Er geißelte das staatliche Reiseverbot und rief: “Wir würden bleiben wollen, wenn wir gehen dürften.” Später sagte er einmal zu diesem Thema: “Meine Heimat liebte ich seriös, meinen Westen wie eine Geliebte.” Es folgte eine Phase der Ernüchterung bei ehemaligen DDR-Bürgern. Zum 10. Jahrestag des Mauerfalls sagte Gauck 1999 in einer Feierstunde des Bundestags: “Nach der Einheit waren wir wieder Lehrlinge. Viele fühlten sich fremd im eigenen Land. […] Sie hatten vom Paradies geträumt und wachten in Nordrhein-Westfalen auf.”

Als er dann in den Abendstunden Anfang 2012 für überraschend ins Kanzleramt gebeten wurde, wo Kanzlerin Angela Merkel (65) und die Spitzen von Union, SPD, FDP und Grüne ihm, dem Parteilosen, unter Lobeshymen das Amt des Bundespräsidenten antrugen, entfuhr ihm bei der Pressekonferenz: “Aber ich bin ja noch nicht mal gewaschen.” Ein Satz, der selbst der nüchternen Merkel ein hilfloses Lächeln ins Gesicht zwang. Sein Sohn Christian Gauck empfand das als “peinlich”, aber so “ungeschminkt, unfiltriert” sei sein Vater nun mal.

Dafür fand dieser nach seiner Vereidigung die für alle Geschmäcker passenden Worte: “Liebe Leute, Ihr wisst es doch genau: Ihr habt keinen Heilsbringer oder keinen Heiligen oder keinen Engel, Ihr habt einen Menschen aus der Mitte der Bevölkerung als Bundespräsidenten.” In der gleichen Rede sagte Gauck über die Rechtsextremisten: “Euer Hass ist unser Ansporn. Wir lassen unser Land nicht im Stich. Wir schenken euch auch nicht unsere Angst. Ihr werdet Vergangenheit sein, und unsere Demokratie wird leben.”

Gaucks Rhetorik kam ihm nicht nur während staatstragender öffentlicher Auftritte zugute, auch die Damenwelt fand daran Gefallen. Sein Biograph Mario Frank lässt in dem Buch “Gauck: Eine Biographie” eine Jugendfreundin aus Rostock zu Wort kommen: “Er kann unheimlich flirten. Und es ist ihm dabei ganz egal, in welchem Alter die Frau ist.”

Gauck war der erste Bundespräsident, der nicht mit seiner Ehefrau Schloss Bellevue bezog, sondern mit seiner Freundin. Manchen Moralwächtern schmeckte das nicht, denn Joachim Gauck lebt nicht nur in wilder Ehe mit der Journalistin Daniela Schadt (60), er ist überdies auch verheiratet, allerdings nicht mit seiner Lebensgefährtin: Seine Ehefrau Gerhild Gauck, genannt “Hansi”, kommt wie er aus Rostock. “Mein Mann und ich kennen uns, seitdem wir 14 Jahre alt waren. Wir waren 19, als wir geheiratet haben”, sagte sie 2012 dem Magazin “Bunte”. Das Paar hat zusammen vier mittlerweile erwachsene Kinder. Die Trennung erfolgte nach dem Fall der Mauer. Aus religiösen Gründen hat Gauck sich nicht scheiden lassen.

1990 verliebte sich Joachim Gauck in die “Zeit”-Journalistin Helga Hirsch. Die Beziehung dauerte bis 1998. Nach der Trennung wurde eine enge Freundschaft daraus, und nicht wenige zerrissen sich die Mäuler, als Gauck als Bundespräsident die ehemalige Lebensgefährtin zu seiner offiziellen Kommunikationsberaterin machte. Schon 2010 war sie Mitarbeiterin in Gaucks Stab für die Bewerbung als Bundespräsident. Auch nach seiner Demission als Staatsoberhaupt ist sie an seiner Seite und wirkte 2019 bei dem Buch “Toleranz: einfach schwer” mit. Mit der Journalistin Daniela Schadt, früher Ressortleiterin Politik bei der “Nürnberger Zeitung”, ist Gauck seit 2000 zusammen.

Nach vier Jahren als Bundespräsident gab Gauck bekannt, dass für ihn eine zweite Amtsperiode nicht in Frage komme. Er spüre das Alter und die Bürde des Amtes, das heißt jedoch nicht, dass er nun im Lehnstuhl sitzt und den Aufzeichnungen seiner alten Reden lauscht. Vor seinem Abschied meinte Gauck: “Ich stelle mir das total schön vor, eine Phase zu haben, wo ich mich erholen kann und wo ich nicht aufpassen muss, ob ich ein falsches Wort sage, falsch gucke.” Doch nach einigen Monaten des Ausruhens trat er wieder öffentlich auf: Mehrere Preise und Gastprofessuren hat er seit 2018 entgegengenommen. Er besitzt mittlerweile die Ehrendoktorwürde von zehn bekannten Universitäten und Hochschulen.

Der Altbundespräsident Joachim Gauck beschäftigt vier Büromitarbeiter einschließlich des Büroleiters im Rang eines Ministerialdirigenten und den Fahrer seines Dienstwagens. Dafür liefert Joachim Gauck nach seinem Rückzug zum Zustand unserer Republik – “Demokratie ist kein politisches Versandhaus” – auch “Staatsbürgerkunde in ihrer besten Form: klug, engagiert, Hirn und Herz ansprechend” (“FAZ”). Es scheint, dass der Wanderprediger der Demokratie in der Freiheit des Pensionärs angekommen ist.

(ln/spot)

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