Die israelische Armee will nach eigenen Angaben ihren Einsatz von Bodentruppen im Gazastreifen in der Nacht zum Samstag ausdehnen. Die Bodentruppen "weiten ihre Bodenoperation heute Nacht aus", kündigte Armeesprecher Daniel Hagari am Freitagabend an. UN-Generalsekretär António Guterres warnte angesichts der Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen vor einer "beispiellosen Lawine menschlichen Leids".
Vor der angekündigten Ausweitung des Bodeneinsatzes verstärkte die israelische Armee nach eigenen Angaben bereits ihre Luftangriffe im Gazastreifen "in einer sehr bedeutsamen Weise". Wir werden weiterhin Luftangriffe in der Stadt Gaza und ihrer Umgebung ausführen", sagte Hagari in einer Fernsehansprache.
Bereits in den beiden Vornächten hatte die israelische Armee Bodeneinsätze mit Panzern in dem extrem dichtbesiedelten Palästinensergebiet ausgeführt. Dabei habe es sich beide Male jeweils um einen "gezielten Angriff" gehandelt, teilten die Streitkräfte mit. Die angekündigte großangelegte israelische Bodenoffensive in dem Palästinensergebiet war bislang jedoch ausgeblieben.
Am Freitagabend wurde der Norden des Gazastreifens dann massiv von der israelischen Armee beschossen, wie Live-Aufnahmen der Nachrichtenagentur AFP zeigten. Die Angriffe begannen demnach gegen 19.00 Uhr Ortszeit und dauerten weiter an.
Die Hamas-Führung erklärte, Israel habe am Freitag die Kommunikation und den größten Teil des Internets im gesamten Gazastreifen gekappt. Das Medienbüro der Hamas-Regierung warf Israel vor, diesen Schritt zu nutzen, "um mit blutigen Vergeltungsschlägen aus der Luft, zu Lande und zur See Massaker zu verüben". Die israelischen Angriffe seien "die heftigsten seit Beginn des Krieges" am 7. Oktober.
Die Essedin-al-Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der Hamas, erklärten im Onlinedienst Telegram, nach den israelischen Luftangriffen am Freitagabend "Raketensalven" auf israelisches Gebiet abgefeuert zu haben. Israelischen Medienberichten zufolge wurden Raketen in Richtung Tel Aviv, in Richtung des Zentrums des Landes sowie des Nordens des besetzten Westjordanlandes abgefeuert.
Guterres erneuerte unterdessen seinen Aufruf "zu einer humanitären Waffenruhe, zur bedingungslosen Freilassung aller Geiseln und zur Lieferung lebensrettender Güter". Das "Elend" nehme weiter zu, erklärte er. Ohne eine "grundlegende Änderung" würden die Menschen im Gazastreifen "mit einer beispiellosen Lawine menschlichen Leids konfrontiert".
Die israelische Armee warf der Hamas unterdessen am Freitag vor, Krankenhäuser im von ihr kontrollierten Gazastreifen als strategische Zentren für ihre Angriffe gegen Israel zu missbrauchen. Die militante Palästinenserorganisation nutze die Krankenhäuser "als Kommandozentralen und Verstecke" mit Zugängen zu ihrem unterirdischen Tunnelsystem, sagte Hagari. Zudem nutze die Hamas den in diesen zivilen Einrichtungen gelagerten Treibstoff für ihre Angriffe.
Am Freitag war erstmals seit Kriegsbeginn ein medizinisches Team vom Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) im Gazastreifen eingetroffen. Darunter seien auf Kriegsverletzungen spezialisierte Ärzte, teilte eine IKRK-Sprecherin mit. "Die humanitäre Katastrophe verschlimmert sich von Stunde zu Stunde", sagte der Regionaldirektor der Organisation, Fabrizio Carboni.
Das UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) hatte zuvor vor steigenden Opferzahlen infolge der Abriegelung des Gazastreifens gewarnt. "Menschen in Gaza sterben nicht nur durch die Bomben, es werden bald noch sehr viele mehr an den Folgen der Abriegelung sterben", sagte deren Chef Philippe Lazzarini.
Nach Angaben der UN-Koordinatorin für humanitäre Angelegenheiten, Lynn Hastings, finden derzeit "sehr, sehr detaillierte Verhandlungen" zu den Hilfslieferungen für die Bevölkerung im Gazastreifen statt. In den Gesprächen werde versucht, Israels Sicherheitsbedenken auszuräumen, sagte sie. Diese seien "völlig legitim, insbesondere in Bezug auf Treibstoff, der ein Produkt mit doppeltem Verwendungszweck und hohem Risiko ist".
Beim EU-Gipfel in Brüssel kritisierte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron Israels Vorgehen im Gazastreifen und sprach sich zudem für eine "humanitäre Waffenruhe" aus. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verwies indessen auf die Gipfelerklärung der EU-Staaten, die eine "klare Haltung" der Mitgliedsländer zeige. "Wir stehen solidarisch an der Seite Israels", fasste der Kanzler die Erklärung zusammen.
Seit dem am 7. Oktober begonnenen Großangriff der Hamas wird eine großangelegte israelische Bodenoffensive im Gazastreifen erwartet. Bei dem Angriff der Hamas auf Israel waren nach israelischen Angaben etwa 1400 Menschen getötet und 229 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Als Reaktion riegelte Israel den Gazastreifen ab und startete massive Luftangriffe auf mutmaßliche Hamas-Ziele.
Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas geleiteten Gesundheitsministeriums inzwischen mehr als 7300 Menschen getötet. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
kas/dja