Der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat ein entschiedeneres Vorgehen gegen den wachsenden Antisemitismus in Deutschland gefordert. "Antisemitismus ist ein großes Problem", sagte Prosor im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Alle drei Stunden gebe es in Deutschland einen antisemitischen Vorfall; dass jüdische Einrichtungen wie Synagogen und Schulen geschützt werden müssten, sei "nicht normal". "Bei Kirchen und Moscheen sehe ich das auch nicht", sagte Prosor.
Antisemitismus verortet der Botschafter in allen Teilen der deutschen Gesellschaft - gleichermaßen im linken und rechten Spektrum wie auch unter Muslimen. Antisemitische und israelfeindliche Parolen wie jüngst auf einer Palästinenser-Kundgebung in Berlin müssten verboten werden. "Das muss strafbar sein", forderte Prosor.
Bei der Demonstration unter dem Motto "Solidarität mit Palästina" in Kreuzberg und Neukölln waren an Ostern israelfeindliche Parolen skandiert worden. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte daraufhin die Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden.
Die Zahl der judenfeindlichen Gewalttaten in Deutschland ist zuletzt gestiegen - von 63 Delikten im Jahr 2021 auf 88 Vorfälle im Jahr 2022. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linkenpolitikerin Petra Pau hervor, wie die "Welt" Ende Februar berichtete. Die Gesamtzahl aller registrierten antisemitischen Straftaten gab das Innenministerium in der Antwort mit 2639 an.
Trotz dieser Zahlen hält Prosor die Demokratie in der Bundesrepublik für "stark". Er habe "viel Vertrauen in Deutschland" - daran ändere auch das Erstarken der AfD nichts, fügte der Botschafter hinzu.
Umfragen, wonach die Partei bei den bevorstehenden Landtagswahlen in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg im kommenden Jahr ein zweistelliges Ergebnis erreichen könnte, bereiteten ihm "keine Sorge". Deutschland sei "ein demokratischer Staat, in dem Dinge offen diskutiert" würden und ein "modernes Land, das nach der Wiedervereinigung hervorragende Arbeit" geleistet habe.
Ähnliches gelte für die Erinnerungsarbeit. Die Deutschen könnten "stolz darauf sein, wie sich das Land mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hat". Nun komme es darauf an, auch jüngeren Generationen die Erinnerung an die NS-Verbrechen nahezubringen - und zugleich das Interesse für die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten in Israel und Deutschland zu wecken. "Wir müssen die Vergangenheit in Erinnerung behalten, aber über die jüngere Generation auch eine Brücke in die Zukunft bauen", sagte Prosor.
Bildung und Erziehung seien dabei "die Antwort" - sowohl auf Antisemitismus als auch auf neue Herausforderungen beim Holocaust-Gedenken angesichts schwindender Zeitzeugen. Um Jugendliche auch nachhaltig zu erreichen, sei dazu jedoch ein anderer Zugang nötig, etwa durch "kurze Filme oder die Nutzung des Online-Netzwerks Tiktok".
Große Hoffnung setzt Prosor dabei auch in ein künftiges deutsch-israelisches Jugendwerk. Einen Schlussstrich unter die Vergangenheit dürfe es keinesfalls geben. "Es gibt eine Verantwortung, und die kann man nur vertiefen und besser erklären, wenn man vor Ort ist", sagte Prosor.
kas/ju