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Israelische Armee liefert sich in Chan Junis schwere Kämpfe mit der Hamas

Nach der Ausweitung der Angriffe auf den südlichen Gazastreifen hat sich die israelische Armee in der Nacht zum Donnerstag in der Stadt Chan Junis nach eigenen Angaben schwere Gefechte mit Kämpfern der radikalislamischen Hamas geliefert. Augenzeugen berichteten von Soldaten, Panzern, Bulldozern und gepanzerten Mannschaftswagen im Zentrum der zweitgrößten Stadt des Küstenstreifens. Regierungsangaben zufolge wurde das Haus von Hamas-Anführer Jahja Sinwar umstellt.

Die israelische Armee erklärte, sie habe "die Verteidigungslinien" der Hamas zerstört und mehrere "Terroristen eliminiert". Zudem seien in der Umgebung von Chan Junis "30 Tunneleingänge" zerstört worden. 

Die Hamas teilte über den Onlinedienst Telegram mit, dass ihr bewaffneter Arm, die Essedin-al-Kassam-Brigaden, "gewaltsam gegen die Besatzungstruppen" vorgehe.

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte in einer Videobotschaft, die Armee habe das Haus von Hamas-Anführer Jahja Sinwar in Chan Junis umzingelt. Dieser versteckt sich laut Armee-Sprecher Daniel Hagari in einem der Tunnel "unter der Erde". Der 61-jährige Sinwar gilt als einer der Drahtzieher des beispiellosen Überfalls der Hamas auf Israel am 7. Oktober. 23 Jahre seines Lebens verbrachte er in israelischen Gefängnissen.

Derweil entdeckte die israelische Armee im Norden des Gazastreifens nach eigenen Angaben ein riesiges Waffenlager "in der Nähe eines Krankenhauses und einer Schule". Es handele sich um "eines der größten Waffenlager", das jemals im Gazastreifen entdeckt worden sei, teilte das Militär mit. Weiter hieß es, dass drei israelische Soldaten am Mittwoch bei Kämpfen getötet worden seien.

Angesichts der Ausweitung der Kämpfe kommen die in den Süden geflüchteten Bewohner des Gazastreifens immer mehr in Bedrängnis. "Wir sind am Boden zerstört und überfordert", sagte ein Bewohner von Chan Junis der Nachrichtenagentur AFP. "Wir brauchen jemanden, der eine Lösung für uns findet, damit wir aus dieser Situation herauskommen."

Die israelische Armee hatte ihre Bodenoffensive zunächst auf den Norden des Gazastreifens konzentriert und die dortige Bevölkerung aufgerufen, sich im Süden des Küstenstreifens in Sicherheit zu bringen. Zahlreiche Menschen waren daher nach Chan Junis geflohen. UN-Angaben zufolge wurden mittlerweile 1,9 Millionen Palästinenser innerhalb des Gazastreifens vertrieben. 

"Wohin sollen wir gehen, um Himmels willen? Wir haben Chan Junis Yunis verlassen und sind jetzt in Zelten in Rafah", sagte Chamis Al-Dalu der AFP. Er war zunächst aus der Stadt Gaza nach Chan Junis geflohen, wegen der Kämpfe dort musste er aber weiterziehen.

UN-Generalsekretär António Guterres warnte in einem Brief an den UN-Sicherheitsrat vor einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung im Gazastreifen. Dadurch könne "selbst eine begrenzte humanitäre Hilfe" unmöglich werden, fügte er hinzu. Guterres berief sich bei seinem Schreiben auf Artikel 99 der UN-Charta, der es dem UN-Generalsekretär möglich macht, sich an den Sicherheitsrat zu wenden. Guterres griff zum ersten Mal in seiner Amtszeit auf diese Möglichkeit zurück.

Als Reaktion auf Guterres' Brief erklärte Israels Außenminister Eli Cohen im Onlinedienst X, vormals Twitter, der UN-Chef sei eine "Gefahr für den Weltfrieden". "Sein Antrag auf Aktivierung von Artikel 99 und der Aufruf zu einem Waffenstillstand in Gaza stellen eine Unterstützung der Terrororganisation Hamas dar", schrieb Cohen. 

Unterdessen teilte Israel Kriegskabinett mit, die Einfuhr von Treibstoff in den Süden des Gazastreifens zu erhöhen. Um einen "humanitären Kollaps" und den "Ausbruch von Epidemien" zu verhindern, sei eine "minimale" Erhöhung der Treibstoffmenge genehmigt worden, erklärte das Büro von Regierungschef Netanjahu im Onlinedienst X.

Der Krieg zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas dauert nun seit zwei Monaten an. Am 7. Oktober waren hunderte Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Hamas nach Israel eingedrungen und hatten Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1200 Menschen in Israel getötet und etwa 240 Menschen als Geiseln verschleppt, ein Teil von ihnen wurde unter anderem während einer einwöchigen Feuerpause freigelassen. 

Nach israelischen Angaben befinden sich weiterhin 138 Verschleppte in der Gewalt der Hamas. Sie würden unter "brutalen und unmenschlichen Bedingungen" gefangengehalten, sagte Armeesprecher Hagari. Das Militär habe seine "Mission zur Rettung unserer Geiseln nicht aus den Augen verloren".

Nach jüngsten Angaben der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, wurden seit Kriegsbeginn mehr als 16.200 Menschen in dem Palästinensergebiet getötet, die meisten von ihnen Zivilisten. 

lt/bfi