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Israel verstärkt nach neuerlichem Raketenbeschuss Angriffe auf Gazastreifen

Berlin verurteilt "Terrorangriffe" auf Israel - Mehr als 120 Tote auf beiden Seiten

Die Spirale der Gewalt im Nahen Osten dreht sich weiter: Nach neuerlichem Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen verstärkte die israelische Armee in der Nacht zum Freitag massiv ihre Angriffe auf das Palästinensergebiet. Nach Angaben beider Seiten wurden durch die Gewalt der vergangenen Tage bereits insgesamt 127 Menschen getötet. Die Bundesregierung prangerte die Attacken aus dem Gazastreifen auf Israel als "Terrorangriffe" an.

Israel griff im Gaza-Streifen mit seiner Luftwaffe und mit Artillerie an. Über der dicht besiedelten Stadt Gaza stiegen in der Nacht Feuerbälle auf, wie AFP-Reporter berichteten. Mehrere Häuser wurden zerstört oder schwer beschädigt. Der 16-jährige Muhammad Nadschib aus dem Viertel Rimal sprach von Szenen wie in einem "Horrorfilm". Im Nordosten des Gazastreifens verließen wegen des israelischen Beschusses hunderte Menschen fluchtartig ihre Häuser. Die Angriffe überschatteten den Beginn des Eid-al-Fitr-Festes zum Abschluss des islamischen Fastenmonats Ramadan.

Anders als bei früheren Luftangriffen in dieser Woche sei es nicht "umsetzbar" gewesen, Zivilisten frühzeitig vor den bevorstehenden Angriffen zu warnen, teilte die israelische Armee mit. Sie setzte eigenen Angaben zufolge unter anderem Kampfjets ein, um gegen ein Tunnel-Netz der radikalislamischen Hamas im Gazastreifen vorzugehen. Armee-Sprecher Jonathan Conricus stellte zugleich klar, dass sich keine israelischen Bodentruppen im Gazastreifen befänden. Zuvor hatte die Armee irrtümlich die Verlegung von Soldaten in den Gazastreifen gemeldet.

Aus dem Gazastreifen wurden zugleich erneut Dutzende Raketen auf die südisraelischen Küstenstädte Aschdod und Aschkelon sowie in die Umgebung des Ben-Gurion-Flughafens von Tel Aviv abgefeuert. Nach Angaben der Armee wurden zudem aus dem Libanon drei Raketen in Richtung Israel abgefeuert, die jedoch ins Mittelmeer stürzten.

Insgesamt wurden seit Montagabend mehr als 1800 Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuert; die meisten von ihnen wurden vom Raketenabwehrsystem "Iron Dome" abgefangen. Die israelische Armee bombardierte ihrerseits rund 750 Ziele im Gazastreifen.

Die Bundesregierung verurteilte die andauernden Raketenangriffe auf Israel am Freitag scharf und unterstrich das Recht Israels auf Selbstverteidigung. "Nichts rechtfertigt solchen Terror", betonte Regierungssprecher Steffen Seibert in Berlin.

Es handelt sich um die heftigsten Gefechte zwischen Israel und militanten Palästinensern seit 2014. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen wurden durch die israelischen Luftangriffe bisher insgesamt 119 Palästinenser getötet, darunter 31 Kinder. Israel meldete den Tod von acht Menschen, darunter ein sechsjähriger Junge und ein Soldat.

Die Eskalation löste international Furcht vor einem erneuten Krieg im Nahen Osten aus. In einer virtuellen Dringlichkeitssitzung befasst sich der UN-Sicherheitsrat am Sonntag erneut mit dem Konflikt. Zwei frühere Sitzungen des Gremiums in dieser Woche endeten ohne eine gemeinsame Erklärung - nach Angaben von Teilnehmern, weil die USA eine Verurteilung Israels ablehnten. China warf Washington vor, das Leiden der Palästinenser zu "ignorieren".

Derweil nehmen auch die Spannungen zwischen arabischen und jüdischen Israelis massiv zu. Im Zusammenhang mit gewaltsamen Vorfällen wurden in dieser Woche bereits mehr als 700 Menschen festgenommen. Israels Polizeichef Micky Rosenfeld sagte, die Polizei müsse regelrechte "Pogrome" verhindern. In der israelischen Stadt Lod, in der am Montag ein arabischer Israeli getötet worden war, schoss am Donnerstag ein Mann auf eine Gruppe bewaffneter Juden und verletzte dabei einen Menschen. In der Nacht wurde in der Stadt erneut eine Synagoge in Brand gesetzt.

Verteidigungsminister Benny Gantz hatte am Donnerstag die Entsendung von Reservisten der Grenzpolizei in israelische Städte angeordnet, um "Recht und Ordnung durchzusetzen". Ministerpräsident Benjamin Netanjahu betonte, das "Lynchen von Arabern durch Juden und das Lynchen von Juden durch Araber" sei durch "nichts zu rechtfertigen".

"Zutiefst besorgt über die Gewalt auf Israels Straßen" äußerte sich US-Außenminister Antony Blinken. Sein Ministerium rief US-Bürger auf, Pläne für Israel-Reisen zu überdenken. Einige Fluggesellschaften, darunter die Lufthansa und British Airways, haben ihre Flüge nach Israel wegen der Gewalt ausgesetzt.

by Von Guillaume LAVALLÉE